Nein, du musst keinen Marathon laufen

Ich muss da mal etwas los werden. Auch wenn das alles schon mal gesagt wurde und eigentlich klar sein sollte: Laufen fängt nicht erst beim Marathon an. Ganz sicher nicht.

Die Filter-Blase

Wenn man sich in den sozialen Medien so umsieht könnte man meinen, dass ein 100-km-Lauf der neue Marathon ist. Und ein Marathon ist eher ein langer Trainingslauf. Gerne ein Mal pro Woche oder gleich zwei Mal am Wochenende. Viele Läufer, denen ich dort folge, posten Wochenumfänge, die ich mir im Leben nicht vorstellen kann. Und damit meine ich nicht die Profi-Athleten. Eher Sportler, die auch mein Nachbar sein könnten.

Das hängt natürlich damit zusammen, dass diese Jungs (und Mädchen) von dem vielen Training auch viel zu berichten haben. Gerne mit schönen Fotos von noch schöneren Orten. Das sehe ich mir gerne an. Und daher folge ich ihnen auch. Aber das ist letztendlich so wie mit der Werbung: dort sieht man auch immer nur schöne, makellose Menschen – die man sich gerne ansieht. Das bedeutet aber nicht, dass alle Menschen so aussehen (sollten). Sieh‘ dich einfach mal im Alltag um: wie oft siehst du jemanden, der oder die in diese Kategorie passt?

Der Maßstab bist Du

Unser digitales Zeitalter macht es leicht, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Bei Strava kann ich auf Meter und Sekunde verfolgen, wie viel mehr als ich ein Vereinskamerad oder Freund gelaufen ist. Oder um wie viel „besser“ seine 10-km-Zeit ist. Ich bekomme es sogar schön aufbereitet vor die Nase gehalten – als 1:1-Vergleich. Und natürlich ist das ja auch Teil des Wettkampfgedankens.

Wogegen ich mich allerdings wehren möchte ist der Eindruck, dass irgendjemand anderes als Du selbst der Maßstab für Deine sportliche Leistung ist.

Jeder der seine persönlichen, individuellen Ziele erreicht oder sogar übertrifft, ist für mich ein Held. Ich kenne Läufer, die sich wegen gesundheitlicher Hürden immer wieder an die fünf Kilometer heran arbeiten müssen und kann mit ihnen das Überqueren der Ziellinie feiern – egal in welcher Zeit. Genau so können (nur) 92 Kilometer am Stück für den nächsten Läufer eine Enttäuschung sein, die ich auch mit ihm teilen kann. Selbst über 120 Kilometer in 24 Stunden kann ich mich mit einem Freund freuen – auch wenn das so weit von meinen eigenen Möglichkeiten zu sein scheint.

Was ich damit sagen will: was Erfolg oder Enttäuschung ist, kann sich von Läufer zu Läufer extrem unterscheiden.

Warum ich keinen Marathon laufe

Natürlich habe ich schon ein paar Mal mit dem Gedanken gespielt. Liegt ja auch scheinbar nahe, wenn man sich von 5 auf 10 auf 21 Kilometer hochgearbeitet hat. Ich hatte allerdings bisher noch nicht das Gefühl, dass ich diese neue Herausforderung bräuchte. Auf der 10-Kilometer-Distanz fühle ich mich mittlerweile ganz gut zuhause. Aber beim Halbmarathon kann ich noch echt viel lernen – über mich. Das ist derzeit herausfordernd genug.

Dazu kommt, dass mir die langen Läufe einfach keinen Spaß machen. Alles unter 20 Kilometer ist ganz ok. Aber je näher es an die Marke geht, desto schlechter ist meine Stimmung. Dagegen blühe ich bei langen Tempo- oder Schwellenläufen richtig auf! Selbst bei fiesen Intervallen bin ich noch besser motiviert. Ein Marathontraining übt also keinen besonderen Reiz auf mich aus. Schon gar nicht, wenn ich mir den Zeitaufwand dafür ansehe. Das Training für einen Halbmarathon bekomme ich so gerade noch ganz gut in meinen Alltag mit Job und Familie integriert. Aber für einen Marathon? Wenn ein Marathon DAS große Ziel für mich wäre, gäbe es sicher einen Weg das auch zu erreichen.

Aber genau das ist es wahrscheinlich: für mich übt der Marathon keine besondere Faszination aus. Ich kann aber gut verstehen, dass es für andere Läufer anders ist. Und ich verstehe auch, warum es für Nicht-Läufer ein Maßstab ist, an dem man gemessen wird. „Und? Bist Du schon einen Marathon gelaufen?“ ist immer eine der ersten Fragen, die man von ihnen gestellt bekommt. Und ich bin dann schon fast froh, dass nicht direkt nach einem Ultra gefragt wird, weil ein Marathon schon zu selbstverständlich geworden ist.

Kurzum: der Laufsport hält so viele unterschiedliche Herausforderungen bereit, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann. Dazu braucht es keinen Marathon, darf es aber trotzdem sein. Ich wünsche mir nur, dass jeder seinen Zielen und nicht denen der anderen nachläuft.

  1. Witzig, ich habe mir letztens auch die Frage gestellt ob Ultralauf der neue Triathlon ist. Früher konnten sich die Marathonläufer nur noch durch Triathlon steigern, aber das hat mittlerweile ja auch schon jeder gemacht. Also müssen jetzt die noch längeren Lauf Distanzen her, je außergewöhnlicher, umso besser. Und auch da scheint es keine Rolle zu spielen, wie s chnell man das schafft, Hauptsache man kann behaupten dabei gewesen zu sein, da steht man vor ahnungslosen Außenstehenden nämlich schnell als Held da. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ein 5 Stundenn Marathonläufer sportlicher sein soll als ein flotter Läufer, der aber nur kürzere Distanzen bestreitet. Man wird auch in Läuferkreisen nur an der Streckenlänge gemessen, nicht an der eigentlichen Leistung die man vollbringt.

    1. Stimmt… Triathlon hatte ich da ganz vergessen. Hauptsache „höher, besser, weiter“. Beim Bloggercamp haben wir uns auch noch über den Honolulu-Marathon unterhalten, wo asiatische Geh-Greise die Chance nutzen ohne Zeitlimit einen Marathon zu finishen. Ich bin mir nicht sicher, ob das noch wirklich intrinsisch motiviert ist…

  2. Gut auf den Punkt gebracht – so kurz habe ich es nicht geschafft, aber die gleichen Gedanken sind mir letztens auch durch den Kopf gegangen. Ich bin zwei Marathon gelaufen und habe zurzeit das Gefühl, dass um mich herum alle Ultra laufen. Und dass so ein Stadt-Marathon ja völlig uncool geworden ist. Ich bin ebenfalls zu dem Schluss gekommen: Gar nichts muss ich!

    Wenn du Lust hast, schau mal rein: https://www.ichhasselaufen.de/2018/08/triathlon-marathon-ultra.html

    Viele Grüße,
    Maren

    1. Hi Maren, jetzt wo ich Deinen Artikel (nochmal) lese, könnte er der Anstoß für meine Gedanken gewesen sein! Danke für die Erinnerung und Deine ausführliche Darstellung (Leseempfehlung!). Hoch gekommen ist das Thema bei mir nochmal durch den Berlin Marathon auf der einen Seite und der Weigerung einiger Läufer aus dem Bekanntenkreis, überhaupt an einer lokalen Laufveranstaltung teilzunehmen. Da prallen echt zwei Welten aufeinander. Und dabei ist die ganze Ultra-Szene noch gar nicht im Bild.

  3. Mit der Einstellung musst Du eigentlich runter von der Straße und auf die Trails. Denn selbst wen Du statt Marathon nur Halbmarathons läufst, da steht eine Zeit, die ist vergleichbar und das ist das, was den Druck ausmacht. Auf den Trails ist jede Strecke anders und das Wetter spielt eine große Rolle. Das nimmt den Druck und im Ziel gibts für alle das gleiche Bier.

    1. Hi Tom, das kann ich gut nachvollziehen – allerdings steckt darin schon wieder so ein „muss man machen“. Ich könnte ich nichtmal auf Trails trainieren, warum muss ich also bei solchen Veranstaltungen starten? Muss ich nicht, genau. ;) Auch Halbmarathon muss ich nicht laufen. Auch nicht 5 oder 10 Kilometer. Aber ich bin ja nicht gegen das Vergleichen grundsätzlich, sondern nur gegen den Vergleich mit anderen. Und ein Rennen gegen sich selbst kann man bei jeder Distanz und auf jedem Untergrund laufen.

      1. Warum kannst du nicht auf Trails laufen? Denkst du auch ohne Hochgebirge keine „Trails“? Liest man oft diese Einstellung, ist aber im Wortsinn genauso falsch wie dass Vegetarier Fisch essen ;-)
        Aber „Trailrunning“ steht bei mir in einer Reihe mit Ultralauf. Das neue must-do für alle die mit normalem attributlosen Laufen keinen Eindruck mehr schinden können. Früher rannte man einfach im Wald und hat kein Ding draus gemacht. Jetzt mit schmissigem Namen ist es die neue Trendsportart und der gemeine Läufer, der sich nicht nach einem Bodenbelag definiert, wird belächelt. Natürlich gehört es zum guten Ton mindestens zu versuchen sich für den UTMB zu qualifizieren. Marathon kann ja jeder.

        1. Klar kann ich auf Trails laufen – egal ob die nun Waldwege heissen oder wie auch immer. Ist aber nicht gerade unser natürliches Laufrevier hier, oder? ;) Denn Du sagst es schon richtig: so ein richtiger Trail-Lauf fängt ja auch erst bei 50 Kilometer an. Scheinbar. Und viele Höhenmeter muss er auch haben. Beides wäre hier eher schwierig zu trainieren – darauf hatte ich angespielt. Ansonsten wirst Du mich über den Winter wieder häufig auf den Heide-Trails finden. :)

          1. Ich veranstalte am 5.5.2019 zum dritten Mal den Pfreimdtaltrail (https://www.pfreimdtaltrail.de). Absichtlich nur Halbmarathon, absichtlich nur 450 Höhenmeter. Klar laufen vorne ein paar Vollgas, aber spätestens ab Platz 20 geht es nur noch um den Spaß. Ich halte nichts von Veranstaltungen wie dem UTMB, wo es nur um die Kommerzialisierung des Sports geht, indem man vorher mehrere Rennen bestreiten muss, die dann Geld an den UTMB abdrücken müssen. Klar Ironman machts genauso. Die Challenge-Family vielleicht ein wenig günstiger, aber auch noch teuer genug. Es sind halt Firmen, die Geld verdienen wollen/müssen.

            Und bei den Läufen, ob 10er, Marathon oder Triathlon-Langdistanz gilt natürlich, dass man es nicht machen muss. Keiner zwingt Dich, Du musst es wollen. Ich mach jetzt seit 30 Jahren mehr oder weniger intensiv Ausdauersport. Aber nicht weil ich muss, sondern weil es mir Spaß macht. Ich genieße das Flair in Roth, die Natur auf dem Trail und das Zielbier in der Runde der „Konkurrenten“. Ich muss niemanden mehr etwas beweisen, auch wenn ich den Traum der Hawaii-Quali noch nicht aufgegeben habe. Aber letztendlich macht es einfach Spaß, verdammt viel Spaß. Allein die 5 Minuten am Solarer Berg sind es mir Wert, das ganze Jahr zu trainieren.

          2. Hi Tom, finde ich gut, dass Deine Veranstaltung absichtlich so machbar ist. Ballern kann man bei jeder Distanz, deswegen wird das die Heißsporne nicht abhalten. ;)

  4. Hallo Thomas,

    da bin ich (als Ultraläufer) total bei dir. Ich sehe schon seit längerem immer wieder Menschen, die meinen unbedingt einen Marathon oder schlimmer noch, einen Ultra laufen zu müssen. Einfach weil es scheinbar zum guten Ton gehört.
    Wenn ich mich dann ab und an mit Bekannten unterhalte, dann kommt oft so etwas wie „Ich laufe ja NUR 21 km…“ und es klingt aus deren Mund schon fast wie eine Entschuldigung. Soll doch bitte jeder laufen wie weit er will oder es organisiert bekommt.

    Ich laufe Ultras weil mich die Distanz und die Zeit in der Natur reizt. Ich bin gerne unterwegs. Für einen schnellen Halbmarathon, könnte ich mich hingegen nicht begeistern. So ist jeder Läufer eben anders und dennoch sind wir alle Läufer.

    Gruß
    Sascha

    1. Hi Sascha, Du sagst es. In diesem „nur“ steckt direkt der Vergleich mit anderen drin – und zwar mit den „Besseren“. Dabei wird nicht berücksichtigt, wie viele überhaupt den A***h nicht hochbekommen und keinen Kilometer am Stück laufen können.

  5. Aber ist das nicht genau das Schöne am Laufen? Manche Läufer versuchen, auf kurzen Distanzen immer schneller zu werden und noch die ein oder andere Sekunden rauszuquetschen. Und andere laufen lieber lang und langsam. Jeder so, wie er möchte.

    Ich persönlich habe mittlerweile überhaupt keinen Bock mehr, von irgendwelchen Zeitzielen abhängig zu machen, ob es ein guter Lauf war oder nicht. Aber, wenn ich einen ganzen Tag durch die Natur laufe und eine gute Zeit hatte, war es auf jeden Fall ein guter Tag.

  6. Du sprichst mir absolut aus der Seele. Mein Instagram Feed ist voll mit Berlin Marathon Bildern; mal eben 42 Km gelaufen. Klar poste ich auch nette Bilder, warum soll man nicht mit anderen seine Leidenschaft teilen?

    Das Internet verzerrt die Realität, als erst Konsequenz werde ich die Tage meinen Facebook Account löschen – bietet mir keinen Mehrwert.

    Ich laufe auch meine 5 bis 20 Kilometer und fühle mich dabei gut, ich genieße die Umgebung und will mich einfach fit halten. Fertig.

    Alles über 21Km ist mir auch zu anstrengend – mir wäre der Aufwand auch viel zu groß.

    1. Hi Daniel, Deine Facebook-Nachricht hatte ich schon gesehen. Könnte ich mir grundsätzlich auch vorstellen, allerdings bin ich in zu vielen Gruppen aktiv, wo mir der Austausch wirklich wichtig ist. Dafür habe ich quasi keine Accounts abonniert und spare mir so die News-Schwemme.

  7. Am Ende ist doch sowohl die Distanz als auch die Schnelligkeit völlig egal, es geht doch um den individuellen Anspruch und um das was persönlich passt. Da ist ja schließlich auch noch ein Leben neben der Lauferei das irgendwie gewuppt werden will.
    Ob HM oder 5km oder irgendein Ultra, irgendwann hat man ja vielleicht mal bock auf das eine oder andere, dann los, trainieren, machen. Aber sich mit anderen zu vergleichen und dadurch etwas „unbedingt mach zu müssen“, das ist (sorry) einfach bloß hohl. Im schlimmsten Fall führt es zu Vollfrust und dann wird bald überhaupt kein Sport mehr gemacht.
    Für mich das Wichtigste ist und bleibt: ich bewege mich. Draussen. Kopf frei, frische Luft, fit bleiben. Spaß haben.
    Auch wenn mein gesamtes Läufer-Umfeld plötzlich Ultratrails auf dem Einrad macht, viel Spaß dabei, ich laufe derweil einen gemütlichen Waldlauf der so lang wird wie ich ihn lang werden lasse.
    Die Socialmedia-Filterblase kann einen schon eine ziemlich verzerrte Weltsicht präsentieren, alles ist Hochglanz. Ich halte mich (vom Blog mal abgesehen) davon einfach fern :-)

  8. Hallo zusammen, toller Bericht und super Kommentare! Vielen Dank :-) Mein eigenes Credo ist da eigentlich ziemlich banal: „Es muss Dir Spaß machen, was Du tust!“ Dabei ist es nicht wirklich wichtig, welche Distanz, Zeit, Höhenmeter, oder was sonst Du „erreicht“ hast. Du kannst Dich auch vergleichen. Warum nicht. Wichtig für mich ist, das Erreichte zu genießen. Die Bewegung zu lieben, beim Sport den Alltag zu vergessen, die eigenen Fortschritte zu sehen. Und genau dies sage ich auch immer den Menschen in meinem Umfeld (auch und besonders den Einsteigern): „Dies oder das ist nicht sooo wichtig. ABER – HAT ES SPASS GEMACHT?“ Und ich freue mich dann immer richtig, wenn sie sagen „jaaaaaa!“ ;-)

    1. Hi Bernd, damit hast Du natürlich Recht. Wenn es keinen Spaß macht, wird keiner den Sport weiter betreiben. Und alles ist besser, als den ganzen Tag nur vom Bett auf den Stuhl, dann auf’s Sofa und wieder ins Bett zu wechseln. ;)

  9. Pingback: Fazit September 2018 – Laufbahn1

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Ich bin der Harlerunner

Hier schreibt Thomas Pier über das Laufen und (deutlich mehr als nur die notwendige) Ausrüstung. Ich laufe weder besonders schnell noch weit. Aber ich teile gerne meine Erfahrungen, die ich als ambitionierter Freizeitläufer, neugieriger Early-Adopter und als mein eigener Trainer sammele.

Ich freue mich über jede digitale Kontaktaufnahme - noch mehr allerdings über jeden gemeinsam gelaufenen Kilometer.

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Thomas (der Harlerunner)