Wie gut funktioniert die optische Pulsmessung am Handgelenk? In Diskussionen an verschiedenen Stellen im Internet lese ich immer wieder sehr extreme Meinungen darüber. Das Spektrum geht von „kannste total vergessen“ bis zu „100% genau“. Über beide Positionen kann ich immer nur den Kopf schütteln. Zumal viele Beiträge nicht auf eigenen Erfahrungen basieren, sondern auf Hörensagen.
Ich bin in der glücklichen Lage schon viele der am Markt verfügbaren Modelle über längere Zeit getestet zu haben. Meine Erfahrungen reichen mittlerweile zwei Jahre zurück. Auch eine meiner beiden Standard-Uhren, die ich bei vielen meiner Läufe trage, misst die Herzfrequenz optisch. Daher möchte ich meine Meinung zu dem Thema optische Pulsmessung hier einfach mal zusammenfassen.
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Hintergrund
Zwischen den zwei üblichen Methoden die Herzfrequenz während des Laufens zu bestimmen gibt es deutliche Unterschiede.
Brustgurt
Brustgurte messen die Herzfrequenz über den Hautwiderstand. Zwei (befeuchtete) Elektroden stellen den Kontakt zur Haut im Brustbereich her. Die im Gurt integrierte Elektronik ermittelt aus den Veränderungen dieses Widerstandes die R-Impulse – also den höchsten Ausschlag, den man in einem EKG sehen würde.
Auch wenn dieses Verfahren oft als „EKG-genau“ beworben wird, ist es nicht fehlerfrei. Durch falsche Positionierung des Gurtes, Verrutschen oder einen schlechten Hautkontakt kann die Messung deutliche Schwächen haben. Ob der Gurt wirklich nur die R-Impulse (genauer: den QRS-Komplex) an die Uhr übermittelt, oder durch eine unsaubere Messung nicht auch T- oder sogar P-Wellen registriert (was die angezeigte Herzfrequenz deutlich verfälschen würde), bleibt für den Läufer nicht nachvollziehbar.
Trotzdem ist klar: dieses Verfahren ist quasi der Gold-Standard unter den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Nach meiner Erfahrung kann man sich auf die Messung entweder voll verlassen, oder die Werte haben so eine große Abweichung, dass ein Fehler offensichtlich ist. Meist ist er dann auch schnell behoben, in dem man die Elektroden nochmal befeuchtet oder den Gurt zurecht rückt.
Optische Herzfrequenzmessung
Die optische Messung dagegen versucht nicht den Rhytmus des Herzens zu messen, sondern dessen Auswirkungen auf das Adersystem. Typischerweise am Handgelenk, wird mit Licht und dessen Reflektion durch die blutführenden Bahnen gemessen. Durch die Entfernung zum Herzen gibt es somit schon mal einen geringen zeitlichen Verzug zur Messung mit dem Brustgurt.
Grundsätzlich hat die optische Herzfrequenzmessung eine höhere Fehleranfälligkeit. Die Qualität des Signals hängt maßgeblich davon ab, ob im Bereich des Sensors der Blutfluss gut zu erfassen ist. Das funktioniert zum Beispiel dann nicht gut, wenn größere Adern zu tief unter der Haut liegen. Auch die Behaarung und die Hautfarbe können eine Rolle spielen.
Dazu kommt noch, dass sich der Sensor bei starken Bewegungen gegenüber dem gemessenen Areal verschieben kann – was beim Laufen nicht so sehr auftreten sollte, beim Cross-Fit z.B. aber nicht unwahrscheinlich ist. Der Sensor müsste also unterscheiden können, ob die Änderungen der gemessenen Helligkeit durch den Blutfluss oder Bewegungen hervorgerufen wurde. Und das kann er natürlich nicht.
Das Verfahren ist im Gegensatz zur Brustgurt-Messung noch relativ jung. Die Qualität der verwendeten Hardware und der zugehörigen Software schwankt, wird aber (so mein Empfinden) sehr schnell besser. Mittlerweile ist der optische Sensor aus neuen Uhrenmodellen nicht mehr weg zu denken – wie aktuell bei der Garmin Fenix 5 oder den Suunto Spartan Trainer Modellen zu sehen ist.
Unterschiede in der Praxis
Abweichungen
Vergleicht man die Herzfrequenzen von Brustgurten und optischen Sensoren, stellt sich grundsätzlich die Frage: wer hat bei Abweichungen Recht? Häufig wird der Brustgurt einfach als Referenz dargestellt und als einzige Wahrheit. Wie oben erläutert ist das aber nicht unbedingt immer der Fall.
Die zweite Problematik: es ist nicht so einfach zwei Pulsuhren zur exakt gleichen Zeit zu starten. Das hat nicht nur damit zu tun, die Knöpfe gemeinsam zu drücken. Bei manchen Herstellern gibt es hin und wieder eine „Denksekunde“ bevor die Uhr mit der Aufzeichnung startet. Legt man anschließend beide Herzfrequenzkurven übereinander, kann es also allein aus diesem praktischen Grund schon zu einer leichten Verschiebung kommen.
Seit dem Erscheinen des Scosche Rhytmn+ Sensors vor gut zwei Jahren mache ich immer mal wieder Vergleichsläufe, bei denen ich sowohl meine Standard-Uhr (zu dem Zeitpunkt) mit Brustgurt getragen habe, wie auch das neue Modell mit dem optischen Herzfrequenzsensor. Einige Beispiele finden sich in den Artikeln zur Garmin Forerunner 225 und Garmin Forerunner 235.
Zusammenfassend kann ich sagen: wesentliche Abweichungen konnte ich nicht feststellen. Die verglichenen Werte mögen punktuell um ein bis maximal zwei Schläge unterschiedlich sein. Aber das macht in der Praxis keinerlei Unterschied. Es ist quasi nie vorgekommen, dass ich diese Abweichung auf den Uhren „live“ gesehen hätte (man guckt ja doch nur selten drauf). Und selbst in dem Moment hätte so ein geringfügiger Unterschied nicht dazu geführt, dass ich mein Tempo hätte anpassen wollen oder Ähnliches.
Einschränkend muss ich natürlich auch sagen, dass optische Sensoren bei mir gut zu funktionieren scheinen – trotz männlich behaarten Handgelenken. Das muss nicht für Jedermann so sein. Ich kenne einen Fall, in dem mit dem Garmin-Sensor keine Messung möglich war – mit dem Scosche-Sensor allerdings schon. Umgekehrt habe ich noch nie gehört, dass die Messung per Brustgurt nicht funktioniert hätte.
Nutzungs-Grundregeln
Bei einem Brustgurt muss man nicht viel beachten: man kann ihn nach jedem Lauf, zumindest aber regelmäßig säubern und alle paar Jahre (je nach Nutzung) die Batterie wechseln. Im Laufe der Zeit mag der elastische Gurt nachgeben. Aber sonst ist da einfach nicht viel falsch zu machen, was die Qualität der Messung beeinflussen könnte.
Das ist bei den optischen Geräten anders und beginnt schon mit dem Sitz. Unter dem Sensor sollen sich ja optimal abtastbare Adern befinden, durch die ungehindert Blut fliesst. Eventuell muss man also mit der Position am Handgelenk spielen oder sogar auf den anderen Arm wechseln. Ausserdem sollte an das Armband eng, aber nicht zu eng einstellen. Meine Daumenregel: ein Loch enger als normal. So quetscht man nicht das Blut ab und kommt zu guten Ergebnissen.
Es macht auch Sinn die Uhr (oder das Armband) schon anzulegen, während man noch im Haus ist und sich umzieht. Zum Einen braucht es immer einen Moment, bis die Uhr die Herzfrequenz sauber erkannt hat. Zum Anderen dauert dieser Vorgang im Kalten (bei zusammengezogenen Adern?) einfach länger. Also erst die Uhr, dann die Klamotten und alles ist gut. ;)
Nach dem Lauf sollte man die Uhr bzw. vor allem den Sensor kurz reinigen. Abwischen mit dem Handtuch reicht. Es geht nur darum, dass kein Schweiß oder Dreck auf der Optik verbleibt und beim nächsten Einsatz die Messung erschwert.
Winter
A propos kalt: im Winter gibt es bei der optischen Messung ein weiteres Problem. Die Uhr muss direkt auf der Haut getragen werden, um die Herzfrequenz anzeigen zu können. Mit zwei Schichten Kleidung und zusätzlichen Handschuhen ist für mich das Display dann nur noch schwierig einsehbar. Uhren ohne optische Messung trage ich einfach über der Kleidung, aber das schließt sich ja leider aus. Was mich zu einem weiteren Punkt bringt:
Brustgurt trotz optischem Sensor
Auch Uhren, die auf die Messung am Handgelenk setzen, lassen sich im Normalfall mit externen Sensoren koppelt. Es spricht also nichts dagegen, trotz der eingebauten Möglichkeit einen zusätzlichen Brustgurt zu benutzen. Das kann im Winter nützlich sein (siehe oben) oder eine Möglichkeit weitere Messwerte zu erheben. Der Stryd-Brustgurt liefert nicht nur die Herzfrequenz, sondern auch die aktuelle Leistung in Watt. Mit den hochwertigeren Garmin-Modellen läßt sich auch der HRM-Run-Brustgurt koppeln, der zusätzliche Daten zur Laufeffizienz liefert.
Zusammenfassung
Die Messung per Brustgurt ist sicher weiterhin die beste Art seine Herzfrequenz beim Laufen zu bestimmen. Wen das olle Ding stört, greift zu einer Uhr mit optischem Sensor. Die ist kein Stück schlechter und liefert genauso praxistaugliche Werte, wenn man einige Randbedingungen beachtet. Und wer mal die Freiheit genießen will, ohne Gurt zu laufen, hin und wieder aber auf zusätzliche Metriken nicht verzichten kann, kombiniert einfach beide Möglichkeiten.