Angeblich stehen wir vor einer Revolution im Laufsport. Mit der Möglichkeit, die beim Laufen erbrachte Arbeit in Watt zu messen, öffne sich eine völlig neue Welt der Trainingssteuerung. Uns steht da ganz Großes bevor! So hat es zumindest den Anschein, wenn man sich mit dem unscheinbaren Gerät der Firma STRYD beschäftigt.
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STRYD Powermeter
Anzeige: STRYD hat mir das Gerät für diesen Test auf meine Anfrage hin zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf den Inhalt meines Testberichts. Der Beitrag ist frei verfasst und gibt ausschließlich meine persönlichen Erfahrungen im Training wieder. [php snippet=1]Was ist ein Powermeter?
Wir sind es alle gewohnt beim Laufen vermessen zu werden. Ein Brustgurt misst ständig unseren Herzschlag, das GPS-Signal ermöglicht eine Geschwindigkeitsangabe und das Messen der bereits zurückgelegten Strecke. In der Trainingssteuerung werden Herzfrequenz und/oder Pace dazu benutzt die Stärke der Belastung zu beurteilen. Das funktioniert in flachem Gelände sehr gut, doch sobald es hügelig wird geht es schon los: obwohl bei einem Anstieg die Belastung direkt hoch geht, sinkt die Pace. Und der Puls braucht einige Zeit, bis er sich der neuen Belastung angepasst hat. Überhaupt sind Puls und Pace von vielen weiteren Faktoren abhängig (Krankheit, Erholungszustand, Gegenwind, Art des Untergrundes, …).
Die Rennradfahrer haben eine weitere Zahl zur Verfügung: die getretene Leistung in Watt. Der zugehörige Leistungsmesser sitzt normalerweise an der Radkurbel und misst (mehr oder minder direkt) die Kraft, die der Sportler gerade aufwendet. Bei einem Anstieg geht dieser Wert natürlich sofort nach oben und wird auch nicht verfälscht durch äußere Faktoren. Man kann sein Training so also nach einem unbestechlichen, objektiven Wert ausrichten.
Das gleiche versuchen Leistungsmesser (oder: Powermeter) für Läufer zu erreichen. Es geht um die Leistung, die der Sportler gerade aufwendet, um sich in der aktuellen Geschwindigkeit vorwärts zu bewegen. Nur haben Läufer natürlich keine Radkurbel, an der Torsionskräfte gemessen werden könnten. Was also tun?
Die Technik hinter STRYD
STRYD berechnet die Leistung beim Laufen, indem es die Bewegung des Oberkörpers in drei Achsen erfasst. Zusammen mit dem Gewicht des Läufers lässt sich aus diesen 3D-Daten die aktuelle erbrachte Leistung errechnen. So zumindest der Ansatz und die Behauptung des amerikanischen Herstellers. Und damit ist klar: es handelt sich bei STRYD eigentlich nicht um eine neue Hardware (Bewegungssensoren sind mittlerweile fast Standard in Brustgurten), sondern um ein Berechnungsmodell. Nichtsdestotrotz ist das eigentliche Produkt ein Brustgurt-Sensor, wie man ihn auch von anderen Herstellern kennt.
Der STRYD Pioneer Sensor
Der derzeit angebotene Sensor ist bereits die zweite Generation des Herstellers. Ursprünglich hatte man sich den ersten Entwicklungsschritt per Crowdfunding auf Kickstarter finanziert. „Damals“ war das Gerät noch ein Clip für den Hosenbund. Man stellte jedoch fest, dass die Trageweise eine zu große Streuung in die Messwerte brachte, weswegen man nach einer neuen Lösung suchte. Die war mit der Brustgurt-Umsetzung schnell gefunden. Diese Variante hat zwei wesentliche Vorteile: Position und Trageweise haben von Läufer zu Läufer quasi keine Abweichungen (was verlässlichere Daten liefert) und das Gerät kann gleich auch noch die Herzfrequenz senden. Man muss also nicht zwei Brustgurte tragen. ;) Der STRYD-Sensor sendet per Bluetooth und ANT+, so daß eine Kompatibilität zu allen aktuellen Laufuhren gegeben sein sollte – zumindest was die Herzfrequenz angeht.
Darüber hinaus lässt sich der Sensor auch in Garmin-Brustgurte (und ähnliche) einklicken, was ich mittlerweile eigentlich immer mache. Der Premium-Gurt von Garmin ist einfach etwas komfortabler zu tragen. Mehr gibt es zum Sensor an sich auch gar nicht zu sagen. Die Magie passiert woanders. ;)
Messen und Aufzeichnen
STRYD-App
Für die Erfassung der Leistungswerte gibt es zwei Möglichkeiten: per App oder per Uhr. Ich habe bei den ersten Gehversuchen die App auf meinem Android-Handy benutzt. Aufgezeichnet (und angezeigt!) wird nicht nur die Watt-Zahl, sondern auch GPS-Daten und Herzfrequenz. Man bekommt also ein ähnliches Ergebnis wie zum Beispiel mit der Strava-App.
Der aufgezeichnete Lauf landet im „STRYD PowerCenter“ – einer Online-Plattform des Herstellers. Hier kann man sich die Daten ansehen und bei Bedarf auch als FIT-Datei exportieren.
Offline-Aufzeichnung
Seit einem Firmware-Update kann der Sensor die Laufdaten auch auf dem Gerät speichern – also ohne Beteiligung von Handy oder Uhr. Anschließend wird dann per Handy synchronisiert. Das PowerCenter kann sich weitere Daten des Laufs dann von Garmin oder Suunto holen und alles zusammenführen.
Suunto
Das ist natürlich alles irgendwie ein Schritt zu viel. Was man möchte ist doch die Kopplung mit der Laufuhr und die Auswertung aller Daten auf der vertrauten Plattform. Das funktioniert derzeit nur mit den Suunto-Uhren der Ambit3-Reihe (und der angekündigten neuen Spartan-Reihe) wirklich gut. Hier wird das STRYD Powermeter ganz normal als Herzfrequenzsensor gekoppelt und stellt die Watt-Zahl als zusätzliche Metrik bereit, die sich anzeigen und aufzeichnen läßt.
In dieser Kombination ersetzt man also einfach den Suunto Smart Sensor durch den STRYD Pioneer und erhält an der Uhr und auf Movescount einen weiteren erfassten Wert. Perfekt. :)
Garmin
Bei Garmin war das Speichern der Watt-Werte lange Zeit nicht möglich. Mal abgesehen von Uhren, die Powermeter im Rad-Modus unterstützen. Für Läufer gab es nur die Möglichkeit STRYD als Laufsensor zu verbinden und so die Watt-Zahl im Feld für die Schrittfrequenz angezeigt zu bekommen.
Seit kurzem hat Garmin seine connectIQ-Plattform erweitert, so dass jetzt eine eigene STRYD-App zur Verfügung steht, welche die Werte des Sensors anzeigen und in das FIT-File der Uhr speichern kann. Allerdings ist man dabei wirklich darauf angewiesen die App zu benutzen – was einfach nicht in allen Fällen Sinn macht. Der nächste Schritt ist hoffentlich die Integration von Datenfeldern, die dann flexibel in allen Sportmodi genutzt werden können.
Trainieren mit STRYD
Validitätsprüfung
So, jetzt haben wir uns extra eine Ambit3 oder sogar eine Spartan Ultra gekauft ;) und einen neuen Wert auf dem Display. Und nun? Verdammt gute Frage. Ehrlich! Als ich vor gut einem halben Jahr eines der ersten ausgelieferten Geräte bekam, ging es erstmal darum festzustellen, ob die angezeigte Watt-Zahl überhaupt stimmen kann. Sprich: stimmt STRYDs Berechnung der Watt-Zahl, oder sind die Werte garnicht belastbar. Die Fragen habe nicht nur ich mir gestellt, sondern viele andere Läufer weltweit auch. STRYD bietet zum Austausch ein eigenes Forum an, das ich weiterhin gerne nutze. Dort kam man relativ schnell zum Ergebnis: passt alles. Naja, gut: Gegenwind und Beschaffenheit des Untergrunds finden keine Berücksichtigung. Aber sonst sind die Werte sehr nachvollziehbar.
Erfahrungswerte sammeln
In den ersten Wochen habe ich den Leistungswert einfach mitlaufen lassen. Nur um ein Gefühl dafür zu bekommen wie viel Watt ein ruhiger Grundlagenlauf bedeutet oder ein Tempolauf. Besonders spannend zu beobachten war der Unterschied zwischen bergauf und bergab. Erste Erkenntnis: die Herzfrequenz eignet sich da wirklich nicht als Steuerungsgröße für eine gleichbleibende Belastung… Versucht man die Watt-Zahl konstant zu halten, muss man beim Anstieg viel früher und viel deutlicher zurückschalten. Auf der anderen Seite des Hügels kann man dafür garnicht genug Gas geben.
Critical Power Test
Als nächstes liegt es ja nahe Trainingszonen zu definieren. So wie man es ja für ein Training nach Herzfrequenz auch macht. Dieses Vorhaben unterstützt STRYD mit dem Critical Power Test, über den ich schon berichtet hatte. Nach einigen (echt anstrengenden) Runden auf der Laufbahn, erhält man die gewünschten Zonen sowohl in Abhängigkeit von der Watt-Zahl wie auch von der Pace.
Trainingssteuerung
Damit könnte man jetzt seine Trainingssteuerung komplett umstellen, oder? Ich sage mal: jein. Denn das geht so lange gut, bis man sich an irgendeinem Trainingsplan orientieren will. Dort sind die Vorgaben entweder in Pulsbereichen oder in Geschwindigkeiten beschrieben. Eine Übersetzung in die STRYD-Zonen scheint irgendwie machbar zu sein, aber ehrlich gesagt habe ich damit meine Probleme. Trainingspläne basieren ja zu einem großen Teil auf Erfahrungswerten, die man mit Puls- und Pacewerten gesammelt hat. Diese Erfahrungen gibt es mit Powermetern für Läufer nicht. Daher bin ich mit einer einfachen Umrechnung der Werte vorsichtig. Ich habe mich an der Stelle gefragt, wie man im Radsport damit umgegangen ist, habe aber dazu leider keine Quellen gefunden. Aus diesem Grund habe ich meine Trainingssteuerung auch nicht umgestellt.
Run with Power
Neue Ansätze zur Verwendung des STRYD Powermeters habe ich im Buch „Run with Power“ von Jim Vance * gefunden. Ein spannender Punkt ist die Laufeffizienz – also wie viel Watt für die derzeitige Pace eingesetzt werden. Durch leichte Veränderungen im Laufstil wird schnell offenbar, dass es immer noch ein Stück energiesparender gehen könnte. Gerade zum Ende eines Laufes, wenn die Ermüdung langsam einsetzt, verschlechtert sich der Quotient schnell mal. Dadurch, dass man ihn an der Uhr (Suunto…) ablesen kann, kann man nun darauf reagieren.Was zwischen den Zeilen immer wieder zu lesen ist: man erkennt das Potential, aber echte Empfehlungen zur Anpassung des eigenen Trainings durch diese Erkenntnis werden nicht ausgesprochen. Anscheinend fehlen noch die Praxiserfahrungen. Daher bin ich auch sehr gespannt auf die angekündigten Beiträge von Michael Arend zum Laufen mit Powermetern.
Ausblick
Heute hat STRYD bereits die nächste Generation seines Powermeters angekündigt. Das neue Gerät wird ein Footpod sein, also an den Laufschuh geklipst. In Zeiten von optischer Herzfrequenzmessung am Handgelenk sicher eine gute Entscheidung sich vom Brustgurt weg zu bewegen. DC Rainmaker hat STRYD v2 bereits antesten können und ist vorsichtig optimistisch.
Ich gehe davon aus, dass wir diese Art der Leistungsmessung bald auch bei den großen Herstellern sehen werden. Die Technik ist ja grundsätzlich vorhanden (Beschleunigungssensoren in den Brustgurten), es fehlt „nur“ die passende Berechnung hinter den Daten. Viel spannender wird aber sein, wann man aus den Erfahrungswerten zu echten, belastbaren Trainingsempfehlungen auf Basis von Watt statt Herzfrequenz oder Pace kommen wird. Bisher ist man anscheinend eher noch in der Experimentier- und Erkundungsphase…
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