Über die Messung der Herzratenvariabilität lassen sich Aussagen zum Erholungszustand des Körpers machen. Einige Laufuhren nutzen diese Messung, um die Erholungszeit nach einem Lauf oder den Fitnesslevel zu bestimmen. Apps bieten weitere Auswertungsmöglichkeiten. Doch so detailliert und konkret auf den Sport bezogen wie beim Vitalmonitor sind auch diese nicht. Daher wollte ich mir das Produkt aus dem Nachbarland mal genauer ansehen.
Produkttest
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Pulse7 Vitalmonitor Pro
Anzeige: Pulse7 hat mir den Vitalmonitor für diesen Test auf meine Anfrage hin zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf den Inhalt meines Testberichts. Der Beitrag ist frei verfasst und gibt ausschließlich meine persönlichen Erfahrungen im Training wieder. [php snippet=1]Hintergrund
Die Messung der Herzratenvariabilität ist nicht ganz trivial. Denn was man relativ einfach als Varianz der Zeiten zwischen den Herzschlägen beschreiben könnte, muss ja erstmal irgendwie gemessen werden. Eine Möglichkeit ist der Brustgurt, wie er zu vielen aktuellen Laufuhren dazu gehört. Die Messung der Gurte wird immer als „EKG-genau“ beschrieben. Doch ein echtes EKG wird weder aufgezeichnet noch ist die Pulsmessung nachvollziehbar.
Das Problem daran ist: Fehlmessungen sind nicht transparent. Ein EKG weist normalerweise mehrere charakteristische Zacken auf. Am deutlichsten zu erkennen ist die R-Welle – oder genauer: der QRS-Komplex. Darauf folgt irgendwann die T-Welle und kurz vor dem nächsten QRS-Komplex noch die P-Welle. Es gibt also grundsätzlich drei messbare Ausschläge. Mein EKG sieht zum Beispiel so aus:
Wenn der Brustgurt nicht ganz richtig sitzt, kann das EKG aber auch deutlich anders aussehen. Dann ist der R-Zacken nach oben vielleicht deutlich flacher als die T-Welle. Wenn der Brustgurt nun einfach immer den stärksten Ausschlag als Herzschlag übermittelt, würde er in dem Fall falsch liegen. Oder er erkennt sowohl R-Zacken und T-Welle als zu messendes Ereignis. Das wäre dann wieder eine Fehlmessung. Woher weiss ich nun, ob der Brustgurt richtig oder falsch misst? Gar nicht. Das ist dann wie bei einer Blackbox: es kommt zwar ein Ergebnis raus, aber man weiß nicht wie es zustande gekommen ist.
Elite-HRV-App
Ich habe meine Herzfrequenzvariabilität über ca. sechs Wochen mit der App Elite-HRV gemessen. Nach einigen Messungen wirft das Programm eine Zeiger-Skala aus, deren grüner Bereich beim Messwert „10“ genau in der Mitte liegt. Das soll wohl dann der Fall sein, wenn sich die Einflüsse des Sympathikus und des Parasympathikus etwa die Waage halten.
Von den Ergebnissen war ich relativ schnell verunsichert, da sich häufig von einem Tag auf den anderen drastisch abweichende Messungen ergaben, ohne dass ich sie mir hätte erklären können. Ganz abgesehen davon, dass sich von der gemessenen Zahl keinerlei Handlungsempfehlung für das Training ablesen ließ. Durch die Schwankungen war ich mir irgendwann sogar unsicher, ob eine 10 wirklich eine 10 ist, oder nicht doch ein Messfehler. Es war eben nicht nachvollziehbar was genau gemessen wurde.
Vitalmonitor
Bei dem Vitalmonitor handelt es sich von der Bauform her auch um einen Brustgurt. Allerdings sieht man schon an seinen Dimensionen, dass da wahrscheinlich ein wenig mehr Technik verbaut ist. Und das ist sie auch: der Vitalmonitor ist ein echter EKG-Brustgurt.
Über zwei großflächige Elektroden aus Edelstahl nimmt er so gut Kontakt mit der Haut auf, das ein Befeuchten nahezu unnötig ist. Schaden kann es allerdings auch nicht. Der elastische Gurt läßt sich zu beiden Seiten ein- und ausklinken, so dass er getrennt vom Sensor gereinigt werden kann.
Im Lieferumfang befindet sich ausserdem ein Ladegerät, das den Vitalmonitor induktiv auflädt – also ohne irgendeine Steckerverbindung. Der Sensor wird einfach auf die Ladeeinheit gelegt und ist nach wenigen Stunden wieder voll einsatzbereit. Das bedeutet: für die nächsten ein bis zwei Monate (!) ist der Vitalmonitor einsatzbereit.
Messvorgang
Beim Vitalmonitor wird zwischen zwei Messungen unterschieden: Morgenmessung und Statusmessung. Zur Kalibrierung des Gerätes – das bedeutet zur Anpassung an den eigenen „Normalzustand“ – wird eine tägliche Messung am Morgen empfohlen. Idealerweise immer zur gleichen Zeit und in der gleichen Position: sitzend mit angelehntem Rücken. Was sich ein wenig sperrig anhört, integriert sich sehr schnell in den Alltag. Ich habe in den letzten drei Monaten nur vier dieser Messungen verpasst – jeweils aus gutem Grund. Der erreichte Kalibrierungsfaktor wird angezeigt und nach jedem Messvorgang aktualisiert, bis er nach ca. zwei Wochen 100% erreicht hat. Ab jetzt ist die Messung und die daraus folgende Empfehlung verlässlich.
Für die Messung selbst ist eine auf dem Handy installierte App notwendig, die per Bluetooth eine Verbindung zum Brustgurt herstellt. Diese lässt einmal am Tag eine Morgenmessung zu, aber jederzeit eine Statusmessung. Der Vergang selbst hat zwei Phasen: in der ersten atmet man ruhig und natürlich, in der zweiten gibt die App den Atemrhythmus vor. Nach etwa drei Minuten wird das Ergebnis präsentiert.
Am unteren Rand läuft während der ganzen Zeit das EKG mit! Man sieht somit sofort, ob der Vitalmonitor mit sauberen Werten gefüttert wird. Und das ist gegenüber den „Blackbox-Brustgurten“ ein entscheidender Vorteil. Ich hätte nicht geglaubt welchen deutlichen Unterschied ein leicht schief sitzender Brustgurt machen kann. Weil eine unsaubere Messung also sofort zu erkennen ist, kann man sie schon nach wenigen Sekunden abbrechen und den Sensor nachjustieren. Das Ergebnis: jede Messung mit dem Vitalmonitor ist valide und liefert somit verlässliche Ergebnisse!
Messprotokoll
Der Vitalmonitor spuckt ein Protokoll mit insgesamt sieben Ergebnissen aus. Ganz oben steht der Regenerationsstatus – eingeteilt in „erschöpft“, „regeneriert“ und „super-kompensiert“. Ein Regenerationsstatus von 100% entspricht dem Ende des Bereichs „regeneriert“, so dass auch mehr als 100% als Ergebnis möglich sind. Dann geht es in den Bereich der Super-Kompensation.
In der zweiten Zeile findet man die maximale Trainingsempfehlung für Ausdauerbelastungen. Diese reicht von Pause über die typischen Trainingsbereiche REG, GA1, GA2 und EB bis hin zu INT. Eine Markierung zeigt an, welche maximale Belastung der Körper nach Einschätzung des Vitalmonitors im Moment verkraften kann. Das ist also keine Trainingsempfehlung, sondern eine Empfehlung für die Obergrenze. Steht also ein Grundlagenlauf auf dem Trainingsplan, der Vitalmonitor würde aber auch einen Lauf im Entwicklungsbereich zulassen, gibt es keinen Grund an dem Plan etwas zu ändern. Umgekehrt hat die Empfehlung schon häufiger zu Änderungen in meinen Plänen geführt. Satt einer Tempoeinheit war dann auch schon mal ein Tag Ruhe dran. Dazu später mehr.
Die nächste Zeile gibt eine ähnliche Empfehlung fürs Krafttraining. Damit habe ich mich ehrlich gesagt nicht besonders beschäftigt. Mir ist nur aufgefallen, dass die Empfehlungen zu Kraft und Ausdauer nicht immer überein stimmen. Manchmal wird ein hartes Krafttraining zugelassen, obwohl ich im Ausdauerbereich eher die Füße still halten sollte.
Der letzte Balken gibt Auskunft über den gemessenen Stress – psychisch bzw. physisch. Insgesamt ist es wie bei den anderen Werten schon so, dass man das Ergebnis bei einem halbwegs guten Körpergefühl tendenziell vorhersagen kann. Zumindest grob. Ich könnte natürlich nicht wie der Vitalmonitor sagen, ob ich bis in den Entwicklungsbereich gehen könnte/sollte oder nur bis GA2. Aber ob ein Ruhetag dran ist, oder ich einfach Vollgas geben kann, weiß ich auch ohne den Sonsor.
Es folgen noch die Werte für Bio Age, Ruhepuls und Herzraten-Variabilität. Besonders die letzten beiden sind wirklich wertvoll für die tägliche Kontrolle. Darüber hinaus kann man manuell sein Gewicht, die Schlafdauer, Schlafqualität, aktuelles Befinden, Arbeitsbelastung und die Intensität des letzten Trainings festhalten. Das ist schnell gemacht und gibt später wichtige Hinweise für die Interpretation – genau wie das abschließende Kommentarfeld.
Das Protokoll läßt sich auch über das Vitalmonitor-Portal abrufen. Durch den größeren Bildschirm hat man eine deutlich bessere Übersicht.
Erfahrungen aus der Praxis
Nach drei Monaten täglicher Messung, habe ich mit dem Vitalmonitor schon sehr viele Szenarien durchlebt. Einige Vorkommnisse lassen sich im Nachhinein sehr gut nachvollziehen und daraus entwickelt sich dann ein Gefühl dafür, worauf man bei den täglichen Messungen achten sollte. Ich hatte die Hoffnung, dass mich das Gerät z.B. frühzeitig über einen Infekt im Körper informiert und ich somit reagieren kann, noch bevor es richtig los geht – und somit im Idealfall ein echtes Krankwerden verhinden oder zumindest abmildern kann.
Krankheit
Ende März waren alle um mich herum erkältet. Ich habe mich ganz gut gehalten, bis ich dienstags auch ein leichtes Kratzen im Hals spürte. So habe ich es auch im Protokoll vermerkt. Obwohl mir der Vitalmonitor noch lockere Läufe zugetraut hätte, bin ich ein paar Tage nicht unterwegs gewesen. Das hat sich auch gelohnt, denn ausser dem leichten Kratzen ist nichts gewesen und ich konnte wieder normal weiter trainieren.
Der leichte Infekt läßt sich an der HRV-Kurve sehr gut ablesen. Bereits einen Tag bevor ich das Kratzen wahrgenommen habe, war der Wert erhöht. Mittlerweile weiß ich, dass ich bei Werten über 60 msec aufmerksam sein sollte. Sollte es keinen logischen Grund dafür geben (hohes Trainingspensum zum Beispiel), lohnt es vielleicht besonders auf Erholung und Ernährung zu achten.
Statusmessungen
Mir war zuerst nicht ganz klar, warum es neben der morgendlichen Messung noch eine Statusmessung gibt. Bei Profiathleten kann ich das ja gerade noch nachvollziehen: eine Messung direkt vor und nach dem Training würde Aufschluss darüber geben, ob sie das zur Verfügung stehende Potential voll ausgeschöpft haben. Aber ich musste feststellen, dass ich häufiger als erwartet selbst einen Zwischenstatus wissen wollte.
Es gab zum Beispiel Tage an denen ich mir einen Leistungstest vorgenommen hatte – mit STRYD oder BSXinsight. Solche Tests sollte man natürlich voll erholt machen. Am Morgen nach einer schlechten oder zu kurzen Nacht zeigt der Vitalmonitor natürlich nicht die erhofften Werte dafür an. Nach einem stressfreien Tag oder vielleicht sogar nach einem kurzen Mittagsschläfchen, kann die Welt aber schon ganz anders aussehen. Und das hat der Vitalmonitor in fast jedem Fall auch bestätigt. In einem Fall hätte mir mein Körpergefühl gesagt, dass ich den Test ruhig durchziehen könne, aber der Vitalmonitor war auch bei der Statusmessung völlig anderer Meinung. Mittlerweile hatte ich so viel Vertrauen in die Auswertungen, dass ich den Leistungstest verschoben habe.
Langfristige Anpassungen
Spannend ist auch zu beobachten, wie sich der Vitalmonitor an langfristige Entwicklungen anpasst. Es gibt natürlich einerseits die Adaption des Körpers an die Belastungen durch das Lauftraining. Aber es gibt eben auch Lebensumstände, die sich ändern können. So geht bei mir zum Beispiel die Stresskurve seit Anfang März tendenziell nach oben. Bedingt durch nicht so erholsame und kurze Nächte. Bedingt durch die Geburt meines Sohnes. ;) Das führte beim Vitalmonitor dazu mir erstmal keine fordernden Laufeinheiten mehr zu empfehlen.
Es hat einige Wochen gedauert, bis für mich dieser neue Lebensumstand zum Normalzustand wurde. Entsprechend hat sich auch der Vitalmonitor angepasst und traut mir wieder höhere Belastungen zu. :) Wenn ich mir allerdings mein „biologisches Alter“ ansehe, sollte ich zumindest das Schlafdefizit bald wieder in den Griff kriegen. Von etwa zehn Jahren unter meinem Lebensalter hat sich der Bioage-Wert auf nur noch vier Jahre angenähert…
[alert type=white ]Meine Meinung
[divider]Bewertung[/divider]Für mich ist die Messung der HRV und die Trainingssteuerung nach der HRV weiterhin ein sinnvolles und für mich funktionierendes Trainingssteuerelement. So weit ich weiß, ist die Genauigkeit, mit welcher der Vitalmonitor misst, mit einem normalen Brustgurt nicht zu erreichen. Ich kann mittlerweile zuverlässig ablesen, wann der Schlafmangel einen Einfluss auf mein Training hat und wann Infektionen im Anmarsch sind.