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Mich haben Hersteller-Portale noch nie so wirklich begeistern können – weder vom Design, noch von der Funktionalität. Daher liegen meine Daten auch (herstellerunabhängig) bei TrainingPeaks. Doch was Stryd mit seinem neuen PowerCenter jetzt anbietet, ist ziemlich bemerkenswert.
Inhalt / Content
Stryd PowerCenter
Stryd hat scheinbar eine ziemlich starke Entwicklungsabteilung. Nicht nur die Hardware und deren Firmware werden dabei bedacht, sondern auch die Apps und Garmin-Datenfelder. Leider habe ich keine Apple Watch, denn auf der Plattform scheinen sie besonders aktiv zu sein.
Auch das alte PowerCenter brachte schon einige nutzbare Vorteile mit. Ganz praktisch gesehen vor allem das Zusammenführen von Polar- oder Suunto-Aufzeichnungen mit dem Offline-Sync des Stryd. Denn nur so kommt man zu einer Datei, die wirklich alle Metriken des Laufs enthält. Bei Garmin ist das nicht notwendig, da hier über das Connect-IQ-Datenfeld bereits alles im Fitfile gespeichert wird.
Das leistet das neue PowerCenter auch weiterhin – genau wie die Ermittlung des Training Stress oder eine Beurteilung der Verteilung der Trainingsintensitäten. Was das neue PowerCenter noch alles kann und was man beachten sollte, kommt jetzt. ;)
Profile
Das PowerCenter ist in Kacheln aufgebaut und startet oben links mit dem Profile. Man kann hier ein Profilbild hinterlegen, sieht seinen Namen und den Benutzernamen – aber die entscheidende Angabe ist die Critical Power. Sie ist als absoluter Wert und in Watt pro Kilogramm angegeben. So kann man sein Leistungsgewicht mit anderen Athleten vergleichen. Zur Referenz ist unten noch das hinterlegte Gewicht angegeben und wann die Critical Power zum letzten Mal aktualisiert wurde.
Über das kleine „i“-Symbol lassen sich Zusatzinformationen aus dem (englischen) Stryd-Support abrufen. Für die Critical Power erfährt man hier, dass das Rechenmodell vor allem aus den langen Läufen (mehr als eine Stunde), Tempoläufen in Wettkampfgeschwindigkeit (10-20 Minuten) und Maximal-Sprints (10-30 Sekunden) gespeist wird. Die Auto-Kalkulation berücksichtigt dabei immer die letzten 90 Tage.
Power Zones
Die nächste Kachel übersetzt die Critical Power in Trainingsbereiche. Das System umfasst fünf Zonen und ist (nach meiner Einschätzung) recht grob gehalten. Man scheint eher auf gerade Prozentzahlen geguckt zu haben statt auf vorhandene Systeme renommierter Trainer (eine gute Übersicht findet sich hier).
Letztendlich gibt es bei solchen Systemen kein richtig oder falsch – sie müssen nur zum Trainingsplan bzw. den dort verwendeten Trainingseinheiten passen. Da aber die Stryd-Zonen auch auf Garmin-Uhren mit Datenfeld synchronisiert werden, sollte man sich darüber klar sein, dass sie eventuell von den Vorgaben aus einem Nicht-Stryd-Trainingsplan abweichen. Meine Vorgaben aus dem Trainingsplan von Michael Arend für die Zone 4 liegen zum Beispiel um gut 5% unter den Stryd-Angaben.
Recent Runs
Die letzten beiden Läufe hat man in einer eigenen Kachel direkt im Zugriff. Neben einigen Kern-Metriken ist der GPS-Track im Hintergrund zu sehen, was mir sehr hilft die Läufe zu erkennen. Denn wenn man sich nicht die Mühe macht, manuell Namen zu vergeben, bleibt diese Angabe doch sehr nichtssagend.
Per Klick öffnet sich dann die Detailseite des Laufs. Sie startet mit der grafischen Anzeige der aufgezeichneten Metriken über die Zeit bzw. Distanz. Die Buttons unterhalb der Graphen zeigen jeweils den Durchschnittswert des dargestellten Bereiches an. Per Klick können hier Metriken hinzugefügt oder von der Darstellung ausgeschlossen werden.
Den exakten Messwert für jeden Punkt der Kurve zeigt ein Overlay, dessen Position man mit der Maus bestimmt. Ausserdem lässt sich so auch ein Ausschnitt bestimmen (Fenster aufziehen), den man detaillierter betrachten will.
Unterhalb der Graphen findet sich eine Tabelle, in der die Werte nach manueller Rundenaufzeichnung oder Kilometer-Splits aufgeführt sind. Die Auswahl einer Zeile führt auch hier zu einem Ausschnitt bei den Graphen.
Rechts daneben finden sich Detailangaben zur Aktivität. Hier kann man die Art des Trainings spezifizieren, seine RPE und Notizen hinterlegen.
Die Kartendarstellung darunter reagiert übrigens auf die Auswahl von Abschnitten links im Fenster. Abschliessend erhält man noch eine Zeile mit der prozentualen Verteilung der Trainingszeit auf die fünf Power-Zonen.
Calendar
Eine Übersicht aller Läufe findet man im Kalender, der über das Symbol in der linken Seitenleiste erreichbar ist. Am Ende jeder Wochenzeile sind Stress, Distanz und Zeit zur besseren Übersicht aufsummiert.
Fast vergessen: ganz oben rechts kann man den Lauf noch mit anderen PowerCenter-Benutzern (!) teilen, ihn mit einem Herzchen markieren, löschen oder herunterladen.
Running Stress Balance
A propos Stress: es gibt ja verschiedene Ansätze, um aus Dauer und Intensität eines Laufs, einen Stress-Score zu ermitteln (Trimp, TSS, Session-RPE, …). Stryd hat sich für eine „eigene“ Formel entschieden und nennt das Ergebnis dann Running Stress Score oder RSS.
Die Formel lautet: RSS = 100 x training duration x (Power/CP)^K
Der Wert ist also abhängig von der Trainingsdauer, der produzierten Power im Verhältnis zur Critical Power (=Intensität) und einem Faktor „K“. Was genau hinter „K“ steckt konnte ich nicht herausfinden. Der Koeffizient soll aber wohl abbilden, dass der Stress beim Laufen höher anzusetzen ist als beim Radfahren – woher die Grundformel stammt. Trotzdem sind bei mir die RSS-Werte immer um 10-20% geringer als die TSS in TrainingPeaks (bei Übereinstimmung von CP und FTP natürlich).
Im Stryd PowerCenter findet man oben rechts die zugehörige Running Stress Balance RSB. Die beschreibt das Verhältnis von aktuellem Trainingsstress (7 Tage, gewichteter Durchschnitt) zur langfristigen Belastung (42 Tage, gewichteter Durchschnitt). Allerdings muss man die Kurve erst lesen lernen, denn ausnahmsweise ist hier höher nicht gleich besser.
Der produktive Bereich liegt für Stryd bei Werten zwischen -10 und -25 – für Belastungswochen. Dazu gehört natürlich auch die anschließende Erholung. Es ist also nicht das Ziel, die Kurve möglichst lange in einem bestimmten Bereich zu halten. Aber in die gefährlichen Bereiche (ab -25) sollte man nur aus gutem Grund kommen, während Werte oberhalb von +5 nur in der Tapering-Phase vor einem Wettkampf auftauchen sollten.
My Training
In diesem Abschnitt wird standardmäßig der Running Stress der letzten 90 Tage angezeigt – verbunden mit einer Trendlinie über 42 Tage und Markierungen für Änderungen in der Critical Power. Über diesen Weg kann man sich also die Historie seiner CP ansehen – das ging bisher nur in der IOS-App.
Alternativ können in diesem Diagramm ausserdem die gelaufene Zeit, Entfernung oder die Höhenmetern angezeigt werden – auch über andere Zeiträume.
Power Duration Curve
Die Power Duration Curve ist sicher das Herzstück des neuen PowerCenters. Was für WKO- und Golden-Cheetah-Benutzer schon längst bekannt ist, bekommen reine Stryd-User erst jetzt gezeigt. Die Kurve gibt an, welche Maximalleistung du in den letzten 90 Tagen über maximal welche Zeitdauer gehalten hast.
Diese Maximalwerte werden unter einer Kurve geglättet. Diese berechnete PDC gewichtet die zugrunde liegenden Daten ausserdem nach deren Alter: Läufe der letzten 30 Tage werden voll angerechnet, danach schwindet der Einfluss mit der Zeit. Blaue Kurvenbestandteile sind also aktuell, grüne noch in Ordnung (aber schon mehr als einen Monat alt) und graue werden bald aus der Berechnung fallen.
Eine sehr spannende Funktion ist, dass man für jeden Abschnitt auf der Kurve ermitteln kann, welcher Lauf die Daten dafür geliefert hat. Auf die Idee sind die anderen Anbieter noch nicht gekommen – dabei kann das so hilfreich sein (siehe Datenhygiene)!
Es lassen sich auch verschiedene Zeiträume miteinander vergleichen. Zum Beispiel kann man die aktuelle Power Duration Curve mit der für den Zeitraum der 90 Tag davor übereinander legen. Wie es scheint, hat sich meine 1-Stunden-Power um fast 20 Watt verbessert. ;)
Datenhygiene
Die Power Duration Curve kann nur so gut sein, wie die Datengrundlage auf der sie fußt. „Garbage in – Garbage out“ heisst das Motto. Daher sollte man sehr genau im Auge behalten, ob zum einen wirklich alle Läufe im PowerCenter erfasst sind (oder es vielleicht sogar Doppelungen gibt) und ob diese fehlerhafte Daten enthalten (Spikes).
Extreme Daten-Spikes erkannt man relativ leicht an einem extremen Start der Power Duration Curve bei 1 Sekunde. Verantwortlich ist in diesem Beispiel ein Lauf vom 13. Januar 2019.
Bei 1:24h gibt es einen Power-Peak, der dort ganz sicher nicht hingehört und letztendlich einen Meßfehler darstellt. Leider ist das im PowerCenter zwar zu identifizieren, aber nicht zu ändern. Es fehlen die Bearbeitungstools, um solche Spitzen zu entfernen. Die derzeit einzige Möglichkeit wäre, den Lauf zu exportieren, danach zu löschen und eine veränderte Datei (mit dem Peak Remover der FitFileTools zum Beispiel) wieder hochzuladen.
Zweites Beispiel: Hier ist der Lauf vom 6. August 2018 schuld an einer ungewöhnlichen PDC. Leider ist diese Datei eigentlich gar nicht zu gebrauchen: die Tabelle enthält nur Null-Werte, während man an dem Power-Graphen sehen kann, dass der wohl nur aus Meßfehlern besteht. Die einzige Möglichkeit ist hier, die ganze Datei zu löschen und somit aus der PDC-Berechnung zu entfernen.
Es lohnt sich also, sehr genau hinzusehen, welche Datenqualität das PowerCenter hat. Zumindest für die Identifizierung und Behebung von teilweise unvermeidbaren Spikes (Stolpern, …) erwarte ich von Stryd eigene Werkzeuge auf der Plattform. Laut Diskussionen in der Facebook-Gruppe steht das auch bereits auf der Agenda.
Training Distribution
Rechts neben der Power Duration Curve finden sich Angaben zur bisherigen Verteilung der Trainingsintensitäten. Im alten PowerCenter war das eine Dreiecks-Grafik, bei der die Ausprägung von drei Faktoren abzulesen war. Jetzt werden vier Bereiche untersucht und jeweils mit dem Durchschnitt gleichalter Stryd-User, die das gleiche Trainingsziel haben (!), verglichen. Grundlage ist, dass man in der Stryd-App ein solches Ziel (10 km, Halbmarathon, Marathon, …) hinterlegt hat.
Es geht los mit der Fitness, die auf der Critical Power basiert. Klickt man den Bereich rechts an, wird links eingeblendet, worauf er sich bezieht. Für die Fitness wird also die Critical Power eingeblendet.
Gleichzeitig werden Workouts vorgeschlagen (und per weiterem Klick auch beschrieben), die zur weiteren Entwicklung der Fitness sinnvoll sind.
Weiter geht es mit der Muscle Power, die auf dem 10-Sekunden-Maximalwert beruht. Meiner liegt gerade bei 6.5 W/kg, während der Durchschnitt gleichalter Stryd-User mit gleichem Trainingziel nur bei 5.32 W/kg liegt – ablesbar auch an der kleinen Grafik rechts.
Die Fatigue Resistence, also der Ermüdungswiderstand, ist eine interessante Metrik, denn sie bezieht sich jeweils auf das im Profil angegebene Wettkampfziel. Gemessen wird die längste Zeit, die man knapp unter seiner Wettkampfvorgabe (in Watt) durchhalten würde – nach aktueller Datenlage. Diese Vorgaben liegen für ein 10-km-Rennen bei 96% der CP, für einen Halbmarathon bei 92%. Meine 289 Watt würde ich derzeit also nur 1:06:49 Stunden durchhalten können. Ich fürchte, da bin ich dann noch nicht im Ziel. ;) Für einen 10er würde mein Ermüdungswiderstand bei 96% aber dagegen ganz gut aussehen. Es ist derzeit noch etwas umständlich, dass man für die Veränderung des Wettkampfzieles in die App springen muss, aber ich bin mir sicher, dass auch dass bereits auf Stryds Roadmap steht.
Abschließend wird die Endurance, also die Ausdauer, aufgeführt. Gemessen wird die längste Zeit, die man im Training am Stück oberhalb von 50% der Critical Power verbracht hat. Letztendlich zählt also einfach nur der längste Lauf in den letzten 90 Tagen. Um es mal deutlich zu sagen: es reicht ein einziger langer Lauf, der drei Monate zurück liegt, damit man hier punktet… Ich würde mir wünschen, dass hier auch ein gewichtetes Mittel verwendet wird, um zu einer brauchbaren Aussage zu kommen.
Meine Meinung
Für mich kam das neue Stryd PowerCenter unerwartet und hat mich ganz ehrlich ziemlich umgehauen. Sicher gibt es hier und da noch ein paar Punkte an denen gearbeitet werden muss. Aber ich bin mir sehr sicher, dass genau das auch passieren wird und sich das PowerCenter so zu einer ernstzunehmenden Analyse-Plattform entwickeln kann. Schon jetzt finde ich hier viele Funktionen wieder, die bisher nur bei kostenpflichtigen Angeboten zu finden waren (TrainingPeaks / WKO). Einige davon sind im PowerCenter sogar besser gelöst. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich mit dem Stryd-Angebot vertraut zu machen und die Angaben für sein Training zu nutzen.