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Im letzten halben Jahr ist viel passiert – das sieht man auch an meinen morgendlichen HRV-Messungen mit HRV4Training und MySASY.
Inhalt / Content
Meine Morgenroutine
Nachdem ich schon wirklich viele Systeme zur HRV-Messung getestet und verglichen habe, bin ich bei zwei Produkten hängen geblieben: HRV4Training und mySASY. Jeden Morgen messe ich zuerst zwei Minuten lang mit HRV4Training im Sitzen und mache nachher die orthostatische Messung im Liegen und Stehen mit mySASY.
Dahinter steckt die Hoffnung, von den Messwerten Entscheidungen für mein Training ableiten zu können. Bin ich schon erholt genug für die nächste harte Trainingseinheit? Bahnt sich eine Erkältung an? Trainiere ich insgesamt zu viel oder zu wenig?
Warum benutze ich dafür zwei Systeme? Grundsätzlich ist es natürlich vollkommen ausreichend, nur eines zu benutzen. Doch da die Herangehensweise und damit auch die Aussagen von HRV4Training und MySASY sehr unterschiedlich sind, nutze ich sie vor allem aus Neugier parallel.
Bisher habe ich sie mir aber nicht in einem direkten Vergleich angesehen, um zu entscheiden, ob ich vielleicht nur bei einem von beiden bleiben will. Nachdem im letzten halben Jahr aber viele Ereignisse dabei waren, bei denen die Unterstützung durch ein HRV-System sinnvoll war, mache ich jetzt einen Praxisvergleich.
Das letzte halbe Jahr
Ich habe diesen Zeitraum gewählt, weil ich mich vor etwa einem halben Jahr nach einer längeren Verletzungspause wieder auf die ersten Wettkämpfe vorbereitet habe. Dazu kamen noch Krankheit, Urlaub, Corona, Laufpause… Aber der Reihe nach:
Laufpause (März 2022)
Eigentlich war ich nach der Weihnachtspause schon wieder ganz gut im Training, da musste ich wegen einem HNO-Eingriff pausieren. Keinerlei Anstrengung für eine Woche – leider gefolgt von einer Woche Krankheit.
HRV4Training zeigt in der ersten Woche noch relativ normale Werte an und dann in der zweiten eine deutlich Delle durch die Krankheit (rote Balken).
In meiner eigenen Auswertung der HRV4Training-Daten in WKO5 sieht man zusätzlich noch den Verlauf der Ruheherzfrequenz (untere Linie). Auch hier sieht man deutlich die Verschlechterung (sprich: Erhöhung) in der Krankheitswoche. Zusätzlich kann man erkennen, dass die HF noch mehr als eine Woche nach der Krankheit erhöht war, obwohl ich nur sanft wieder ins Training eingestiegen bin.
Bei mySASY ist der Abwärtstrend auch deutlich zu sehen, allerdings kommt es nur in der zweiten Woche zu schlechten Werten in der App. Im Unterschied zu HRV4Training zieht mySASY nicht nur den Parasympathikus, sondern auch den Sympathikus in seine Messungen mit ein. Ich erfahre also nicht nur, wie erholt der Körper ist, sondern auch wie aktiviert bzw. einsatzbereit er ist.
Demnach war ich eine Woche nach der Pause schon wieder bereit für das Training – während mir HRV4Training das quasi schon am ersten Tag zugetraut hat. Mit dem Blick auf die Ruheherzfrequenz finde ich die Einschätzung von HRV4Training da etwas zu optimistisch…
In der Zusammenschau der Daten sieht man aber, dass sich die Plattformen gar nicht so uneins sein, wenn man bei HRV4Training nicht die Tagesempfehlungen (Balken), sondern den 7-Tages-Trend (blaue Kurve) betrachtet.
Unterm Strich haben mir beide Programme also deutlich die Krankheit angezeigt – die ich allerdings auch ohne bemerkt habe. 😉 Für die wichtigere Frage, wann ich wieder ins Training einsteigen sollte, war mySASY deutlich hilfreicher.
Wettkampfvorbereitung (April/Mai 2022)
Anschließend habe ich mich auf den Venloop (15.05.2022) vorbereitet und auf dem Weg den Lauf in Nordkirchen (30.04.2022) mitgenommen. Es ist in der Grafik nicht gut zu erkennen, aber es gibt im Aufbau viele Tage mit grenzwertig hohen Belastungen (gelbe Punkte), die durch eine (für mich in dem Moment) etwas zu schnelle Steigerung von Umfang und Intensität zustande kommen.
Laut HRV4Training war die Adaption an diese Belastungen aber ok. Es gibt nur in der Mitte des Blocks einen kleinen Knick nach unten als ich die Intensität erhöht habe. Aber auch das scheine ich gut weggesteckt zu haben.
Gleichzeitig ist zu beobachten wie mein Ruhepuls sinkt. Eine gleichbleibend gute HRV bei sinkendem Puls ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Trainingsadaption gut funktioniert und somit sich auch meine Fitness verbessert.
mySASY sieht das ähnlich, zeigt mir aber deutlich den Bedarf an Erholungstagen an (rote Punkte). Auch die grünen Punkte (Superkompensation) werden in der zweiten Hälfte weniger. Es hätte also ruhig etwas weniger Intensität sein dürfen. In der Woche vor dem Venloop sieht man dann deutlich wie das Tapering wirkt.
Beide Tools haben mir in dieser Phase bestätigt, dass ich mit den Trainingsreizen gut zurecht komme. Allerdings wäre eine Feinjustierung der Belastung nur mit mySASY möglich gewesen (mehr grüne Punkte = Superkompensation).
Schlafmangel (Mai 2022)
Direkt nach dem Venloop habe ich zwei Wochen lang schlecht geschlafen. Vor allem in der ersten Woche hatte ich unruhige Beine und ich bin nachts oft aufgestanden. In der zweiten Woche wurde das langsam besser.
HRV4Training quittiert diese Zeit mit deutlichen Warnmeldungen (gelb und rot) und rät dazu, beim Training kürzer zu treten oder gar zu pausieren.
Wie man am Workload sehen kann, bin ich es in der Zeit aber sehr ruhig angegangen. Am Training war da also nicht viel zu drehen.
Auch ist meine Ruheherzfrequenz weiterhin gesunken. Eine große Auswirkung aufs Gesamtsystem scheint der Schlafmangel also nicht gehabt zu haben.
Doch auch mySASY macht deutlich darauf aufmerksam, dass in der Zeit keine gute Trainingsadaption stattgefunden hat. Intensive Einheiten wären also vergebens gewesen, weil der Körper gar nicht bereit war, diese Reize zu verarbeiten.
Für mich waren HRV4Training und mySASY hier gleichermaßen hilfreich. Ohne deren Hinweise wäre ich trotz Müdigkeit sonst sicher auch mal intensiver gelaufen. Besser war es sicher, dem Körper mehr Ruhe zu gönnen.
Urlaub (Juli 2022)
Wir waren im Juli zwei Wochen auf Mallorca. Es ging also nur ums Ausspannen an Pool und Strand – allerdings bei 34°C… Wenn ich mir die Werte in HRV4Training ansehe, habe ich bestimmt eine Woche gebraucht, um mich an die Temperaturen zu gewöhnen.
Ich war zwar nur ein paar Mal laufen, habe aber dafür fast jeden Tag Beachvolleyball gespielt. Der Workload war also auch im Urlaub da.
mySASY habe ich nur sehr unregelmäßig benutzt. Es gab ja eigentlich keine Belastung zu steuern und die Messung passte oft auch nicht in die morgendliche Routine eines Hotelzimmers mit vier Personen. 😉 Aber zur Bestätigung einer guten Erholung hat es gereicht.
Corona (Juli 2022)
Direkt nach dem Urlaub habe ich mir dann den Virus eingefangen. Es ging innerhalb von einer Woche steil bergab, aber auch direkt wieder bergauf.
Um kein Risiko einzugehen, habe ich dann noch zwei weitere Wochen pausiert. Nach einer Woche wäre ich zwar wieder bereit zum Laufen gewesen, aber die Vernunft hat gesiegt.
Die HRV ist noch lange im Keller geblieben und die Ruheherzfrequenz war deutlich erhöht. Das hatte aber noch andere Gründe (siehe nächstes Kapitel).
Meldet man bei mySASY einen Krankheitstag an, bittet die App um eine Messpause bis alles wieder in Ordnung ist. In der Zeit ist natürlich kein Training zu steuern – allerdings bekommt man so auch nicht die Frage beantwortet, wann es wieder losgehen kann.
Hitze (Juli/August 2022)
Trotz Hitze-Akklimatisierung im Urlaub, waren mir auch zuhause Temperaturen oberhalb von 30°C zu viel. Das hat natürlich nicht bei der Corona-Erholung geholfen.
Nach den zwei Wochen Pause bin ich sehr moderat wieder eingestiegen (unterstützt von Enduco). Ich hatte definitiv wieder Lust aufs Training – aber ganz klar nicht auf die Hitze…
Was mir vor allem zu schaffen gemacht hat, war die fehlende Erholung in der Nacht. Gab es im Urlaub noch ein klimatisiertes Zimmer, war es zuhause im Schlafzimmer unterm Dach auch nachts noch viel zu warm. Das sieht man auch deutlich an den HRV- und Ruhepuls-Werten.
Wie man bei mySASY deutlich erkennen kann, war die Belastung beim Wiedereinstieg trotz Hitze aber gut dosiert.
Im direkten Vergleich von HRV4Training und mySASY sind die teilweise unterschiedlichen Aussagen der Systeme deutlich zu erkennen. Vor allem in den letzten zwei Wochen des Betrachtungszeitraums.
Fazit
Bisher habe ich beide System eher aus dem Bauch heraus parallel betrieben. Einen echten Vergleich habe nicht gemacht, daher ist das Ergebnis dieses kleinen Feldversuchs auch für mich spannend.
Mir ist vor allem klar geworden, dass HRV4Training und mySASY nicht die gleiche Art von Aussage treffen. Wobei HRV4Training hier stellvertretend für alle HRV-Apps steht, die auf der Messung des RMSSD beruhen (EliteHRV, Kubios HRV, Vitalmonitor, ...). So sind zwar Aussagen zum Erholungszustand der Körpers möglich, zu dem die Trainingsbelastungen aber eben nur einen Teil beitragen.
Bei mir scheint vor allem der Faktor Schlafmangel und die dadurch verringerte Erholung einen direkten und großen Einfluss auf die Werte zu haben.
Belastungen aus den Training wirken sich dagegen eher langfristig aus – wahrscheinlich auch über den schlechteren Schlaf nach einer harten Trainingseinheit am Abend und die kumulierte, verringerte Erholung.
Während HRV4Training also gut den allgemeinen (Erholungs-) Trend nachzeichnet, ist mySASY deutlich stärker auf Trainingsbereitschaft und Trainingsadaption fokussiert. Alarmsignale (Krankheit) werden im Trainingsalltag zwar gut erkannt. Aber ohne Trainingsreize ist es schwierig abzuschätzen, wann ein Training wieder starten könnte.
Dafür gibt mySASY deutlich hilfreichere Hinweise zur Belastungssteuerung. Was ich bei HRV4Training erst als Trend nach zwei Wochen beobachten kann, wird bei mySASY bereits im Lauf der Trainingswoche deutlich. Oft sogar schon nach ein oder zwei Trainingseinheiten, denn mit der Beurteilung der Adaption am Tag nach dem Workout scheint die App bei mir meist richtig zu liegen.
Empfehlung
Aus diesen Erfahrungen heraus würde ich mySASY empfehlen, wenn es vor allem um die (auch kurzfristige) Trainings- und Belastungssteuerung von ambitionierten Sportlern geht. Aus der Morgenmessung sind konkrete Entscheidungen für das Training abzulesen, die nicht unbedingt auch einem guten Körpergefühl zu entnehmen sind. Damit das System gut arbeiten kann, braucht es dann aber auch 3-4 Belastungstage pro Woche. In Ruhephasen fand ich mySASY nicht so hilfreich.
HRV4Training ist universeller angelegt und nicht so präzise für die Trainingssteuerung zu nutzen. Ich würde Entscheidungen für mein Training nicht auf eine einzelne Morgenmessung stützen wollen. Im Wochentrend ist aber sehr gut ablesbar, ob man mit der aktuellen Trainingsbelastung auf dem richtigen Weg ist. Dafür sind andere Ereignisse wie Krankheit und Schlafmangel deutlich besser erfasst. Auch den Wiedereintritt ins Training nach einer Krankheit würde ich eher auf den HRV4Training-Werten beurteilen wollen.