Seitdem Jens in seinem Youtube-Kanal mit dem Hashtag #gettingoldergettingfaster ins neue Laufjahr gestartet ist, beschäftigt mich das Thema „schneller werden im Alter“.
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Die guten alten Zeiten…
Ich muss zugeben, dass die Jagd nach immer neuen persönlichen Bestzeiten eine große Motivation am Anfang meiner „Laufkarriere“ war. Nach meinem ersten Wettkampf 2014 (Bochumer Firmenlauf, 5 km) und dem ersten 10er kurz danach (Coesfelder Citylauf 2014), war ich angefixt. ;) Denn ich hatte die jeweils vorher angepeilten Zeiten nicht nur erreicht, sondern eher noch übertroffen.
Dementsprechend wurden die Ziele langsam höher gesetzt: 2015 waren die 10 Kilometer in unter 50 Minuten dran und der erste Halbmarathon in unter 1:50h. In dem Jahr konnte ich meine 10-km-Zeiten langsam verbessern und meine Bestzeit auf ca. 46 Minuten verschieben. Auch einen Halbmarathon in unter 1:45h konnte ich als Erfolg verbuchen.
2016 wurde ich dann richtig ehrgeizig und wollte die 45 Minuten auf 10 Kilometer knacken. Das hat beim Johannes-Lauf noch nicht geklappt, dafür aber beim Citylauf: 43:28 min! Eine Woche vorher sollten 1:40h für den Halbmarathon fallen, was ich nur knapp verpasst habe.
Beim Venloop 2017 war es dann aber soweit und ich konnte meine Bestzeit auf 1:39:25h verbessern. In dem Jahr konnte ich auch noch ein paar Mal beweisen, dass ich die 10k in 44 Minuten laufen kann – mal leicht drunter, mal leicht drüber.
Und jetzt?
Doch diese Entwicklung ging in den Folgejahren leider nicht weiter. Beim Halbmarathon bin ich nur ein Mal noch an die 1:45h heran gelaufen. Auf der 10-km-Strecke waren die 45 Minuten nicht mehr zu unterbieten und nur ein Mal überhaupt knapp zu erreichen.
In die Corona-Zeit bin ich 2020 dann aber mit genau dem Ziel vor Augen eingestiegen und konnte auf meiner eigenen Strecke nochmal 44:16 min erreichen. Und als kleines Highlight habe ich meine 5-km-Zeit auf 20:43 min verbessern können – die Distanz bin ich vorher aber auch erst ein Mal im Wettkampf gelaufen.
Mittlerweile sind meine Bestzeiten auf 10 und 21,1 Kilometer also locker fünf Jahre alt. Und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, diese Zeiten nochmal zu erreichen. Ok, so ganz ausschließen will ich das auch nicht. Aber es scheint doch von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher zu werden. Ich hatte mich schon mit der Idee angefreundet, Bestleistungen pro Kalenderjahr zu sammeln, statt mich immer mit meinen schnellsten Zeiten zu vergleichen.
Altersabhängige Bestzeiten / Age-Grading
Durch Jens‘ Projekt #gettingoldergettingfaster habe ich mich aber nochmal neu mit dem Thema beschäftigt und bin auf das Age-Grading, also altersabhängige Bestzeiten gestoßen. Dieser Ansatz seine Wettkampfergebnisse zu beurteilen scheint in den USA sehr üblich zu sein, während er bei uns eher unbekannt ist.
Letztendlich geht es darum, den altersbedingten, natürlichen Leistungsabfall bei der Bewertung seiner Wettkampfergebnisse zu berücksichtigen. Für jede Sportart gibt es ein optimales Alter, in dem absolute Bestleistungen möglich sind. Fürs Laufen ist das so ungefähr zwischen 19 und 31 Jahren der Fall – je nach Distanz. Danach geht es dann nur noch bergab. ;)
0.5%-Regel
Für diesen Leistungsabfall gibt es scheinbar eine Daumenregel, die besagt: mit jedem Jahr nimmt die Leistung um etwa 0.5 Prozent ab. Wenn ich mit 40 also die 10 Kilometer in 40 Minuten laufen würde, dürften mit 50 Jahren nur noch ca. 42 Minuten drin sein ((1,05 hoch 10) * 40).
Das bedeutet also: wenn ich meine 10 Jahre alte Bestzeit (unter Berücksichtigung des Alters) schlagen will, müsste ich nicht unter 40 Minuten laufen, sondern „nur“ unter 42 Minuten.
Tabellenwerte
Diese Näherungsformel ist schon ganz brauchbar, aber das Age-Grading-System z.B. in den USA geht noch einen Schritt weiter. Und der Ansatz ist auch etwas anders. Denn man sieht sich im Grunde die Alters-Weltrekorde an, vergleicht die mit dem absoluten Weltrekord, und berechnet daraus einen Korrekturfaktor. Also sagen wir mal der Marathon-Weltrekord liegt bei 2 Stunden und der Weltrekord bei den 50-jährigen liegt bei 3 Stunden, dann wäre der Korrekturfaktor 0,666.
Dieses System kann ich auf jedes Alter von 5 bis 100, beide Geschlechter und für jede Wettkampfdistanz anwenden, und komme dann zu den Age-Grading-Tabellen.
Was mache ich nun mit dem Faktor? Angewendet auf meine aktuelle Wettkampfzeit kann ich diese sozusagen altersbereinigen und bekomme eine Zeit, die ich mit dem aktuellen Weltrekord vergleichen kann.
Bin ich also der Weltrekordhalter der 50-jährigen, werden meine 3 Stunden im Marathon mit 0,666 multipliziert und die alterskorrigierte Zeit wäre 2 Stunden. Das würde mir einen Age-Grade-Score von 100% bescheren. Laufe ich nur 5 Stunden auf den Marathon, komme ich auf korrigierte 3:20h und einen Age-Grade-Score von 60,06% im Vergleich mit dem Weltrekord.
Tools
Das alles muss man natürlich nicht alleine und von Hand ausrechnen. Überhaupt bräuchte man dafür ja auch die Tabellengrundlage. Wer seine Zeiten einfach mal „age-graden“ will, kann dafür Online-Rechner benutzen. Auf den frei verfügbaren Tabellen von 2020 basiert zum Beispiel der Rechner von Howard Grubb.
Selbstverständlich haben sowohl Runalyze als auch Tredict diese Funktion bereits integriert und man kann sich entweder als Übersicht oder gleich bei jedem als Wettkampf gekennzeichneten Lauf seine Alterklassen-Leistung ansehen. Leider ist mir nicht ganz klar, mit welchen Tabellen die Tools arbeiten. Denn die Ergebnisse unterscheiden sich von meinen Werte aus der US-Tabelle von 2020.
Neue Ziele
Ich habe mir daraufhin eine Tabelle mit all meinen Wettkampfergebnissen über 5, 10 und 21,1 Kilometern erstellt – natürlich mit den entsprechenden Berechnungen zum Age-Grading. Und darin stecken so einige spannende Erkenntnisse!
Denn der Age-Grade-Score macht ja nicht nur Ergebnisse in verschiedenem Alter vergleichbar, sondern auch alle Wettkampfstrecken untereinander. So habe ich festgestellt, dass ich auf den 5 Kilometern deutlich am stärksten bin, weil ich hier die höchsten Age-Grade-Scores erreiche. Die 10 Kilometer folgen mit ein wenig Abstand und dahinter kommen erst meine Halbmarathon-Wettkämpfe.
Was sich noch aus der Tabelle lesen lässt: mein stärkster 10-km-Wettkampf war nicht der mit der schnellsten Zeit. Alterskorrigiert bin ich meine Bestzeit nämlich 2020 gelaufen – wenn auch nur knapp.
Letztendlich lässt sich über den Age-Grade-Score auch eine altersunabhängige Entwicklung der Wettkampfergebnisse darstellen. Den reinen Zeiten nach hätte ich gesagt, dass meine besten Jahre 2016 und 2017 waren. Doch unter Berücksichtigung des Alters muss ich verwundert (und begeistert!) feststellen, dass ich mich eigentlich kontinuierlich von Jahr zu Jahr verbessert habe.
Umgekehrt angewendet läßt sich auch ausrechnen, welche Zeit ich denn in diesem Jahr laufen müsste, um meine Age-Grade-Bestzeit zu schlagen. Für die 10 Kilometer wären das 45 Minuten – und nicht meine absolute Bestzeit von 43:28!
Und das ist für mich ein totaler Game-Changer! Denn ich sehe derzeit keine Chance, meine Bestzeit nochmal anzugreifen. Aber die alterskorrigierte Zeit von 45 Minuten halte ich mit Training durchaus für machbar. Herausfordernd, aber im Bereich des Möglichen. Mit so einem Ziel hätte ich richtig Lust, mich wieder ins Wettkampfgeschehen zu werfen – allerdings dem Alter entsprechend. ;)