Vor zwei Jahren fing alles an: wegen plötzlicher Schmerzen im Rücken musste ich eine Gehpause auf meiner Laufrunde einlegen. Erst jetzt bin ich (größtenteils) wieder schmerzfrei unterwegs.
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Das Problem
Im Juli 2020 musste ich auf meiner Hausrunde plötzlich eine Gehpause einlegen, weil ich Schmerzen im unteren Rücken und dem Gesäß hatte. Das kam wie aus dem Nichts. Ich war weder besonders lang unterwegs noch hatte ich neue Schuhe an. Solche Unterbrechungen gab es noch mehrfach bis ich wieder zuhause war. Der kurze Lauf am nächsten Tag war allerdings wieder problemfrei.
Für mich war das ein Zeichen, mich mal wieder ums Stabi-Training zu kümmern. Das kam bei mir genauso wenig im Trainingsplan vor wie regelmäßiges Dehnen. Als typischer Schreibtisch-Sitzer gibt es da ja genug Punkte, an denen man eigentlich arbeiten sollte – aber nie tut. Genau ein Mal habe ich die Kettlebells in die Hand genommen. Aber da die Schmerzen in den folgenden Wochen nicht nochmal auftragen, ließ ich es auch dabei. Kennt ihr sicher.
Im September musste ich mir dann eingestehen, dass ich eigentlich bei fast jedem Lauf ein Ziehen in der rechten Pobacke hatte. Nicht so viel, dass ich deswegen nicht laufen konnte. Aber doch so, dass es immer mal wieder meine Aufmerksamkeit forderte.
Selbsthilfe
Dr. Google führte bei der Suche nach ISG-Schmerzen und dem Piriformis-Syndrom immer wieder zu den gleichen Übungen, die vor allem die Gluteus-Muskulatur stärken sollten. Dazu gehörten Glute-Bridges, Hamstring-Walks, Kettlebell-Swings und Side-Planks. Die Routine, die ich mir daraus zusammengestellt hatte, dauerte etwa 20 Minuten und wurde drei Mal in der Woche in den Trainingsplan integriert.
Nach 6-8 Wochen Kräftigung ohne nennenswerten Erfolg, habe ich dann Richtung Yoga umgeschwenkt. Die Nike Training App hat da ziemlich gute Routinen, die auch abwechslungsreich genug waren. Also machte ich wieder ca. 3x in der Woche „Steady Flow Yoga“, „Ab and Butt 2.0“ oder „Glute and Hip Strength“. Dazu gehörten immer mal wieder auch Übungen mit einem Widerstandsband. Erfolg nach weiteren gut vier Wochen: keine wesentliche Veränderung.
Orthopäde und Physiotherapie
Im November 2020 war ich dann beim Orthopäden. Seine Diagnose: ISG-Blockade / Piriformis-Syndrom. Irgendwie sowas. Also ab zum Physio. Leider war in meiner Wunsch-Praxis kein Termin zu bekommen, also ging ich zu irgendwem. Der konnte aber weder eine Blockade noch einen angespannten Piriformis-Muskel feststellen und gab mir nur Übungen mit, die ich bereits seit drei Monaten erfolglos gemacht habe. Vielen Dank für Garnichts also.
Gelaufen bin ich in der Zeit weiterhin mein normales Pensum (40-50 km in der Woche). Das Ziehen war fast bei jedem Lauf dabei: mal im Po, mal eher im Rücken und immer nur rechts. Aber halt nie so, dass es mich vom Laufen abgehalten hätte. Auch eine zweiwöchige Laufpause wegen einer Zahn-OP hat daran nichts ändern können.
Im März 2021 ging es dann nochmal zum Orthopäden. Diesmal hat er ein Röntgenbild gemacht, konnte aber mehr als die bekannte leichte Skoliose nichts feststellen. Den resultierenden Beckenschiefstand wollte er durch Fersenkissen in den Schuhen ausgleichen… Na, besten Dank. Ich habe ihm zumindest eine Empfehlung für Osteopathie abschwatzen können.
Osteopathie
Mein Osteopath hat sich dann als Erster richtig Zeit genommen, das Problem zu verstehen. Er fand die Lage meines Kreuzbeins auffällig und wollte daran arbeiten. Ein „Tritt ins Leere“ bei meiner Tour auf den Brocken (etwa eine Woche vor den ersten Schmerzen) schien ihm eine mögliche Ursache zu sein.
Die Behandlung schlug innerhalb von zwei Terminen so gut an, dass ich einzelne, symptomfreie Läufe hatte! Allerdings war das nicht von Dauer und nach den sechs Behandlungen war ich im Grunde wieder am Ausgangspunkt…
Analysen
Aber ich gebe ja nicht auf. Da die Schmerzen nur beim Laufen auftreten, musste es vielleicht in meiner Laufbewegung eine Ursache dafür geben. Da traf es sich gut, dass ich für einen Artikel das hochmoderne mLab in Köln besuchen durfte. Nach deren biomechanischen Analyse gab es an meinem Laufstil aber kaum etwas zu meckern. Ja, meine Oberkörperrotation und die Stabilität der Fußgelenke könnte besser sein. Aber meine Schmerzen konnte das alles nicht erklären.
Auch eine weitere privatärztliche Untersuchung eines Orthopäden im Zentrum für Sportmedizin in Münster brachte nicht mehr Licht in die Sache. Für ihn war ganz klar der Piriformis rechts verhärtet. Aber mehr als die bisher erfolglosen Kräftigungs- und Dehnübungen hatte er auch nicht anzubieten.
Im August 2021 war ich in meiner Verzweiflung dann noch bei meinem Hausarzt. Nachdem er sich meine Geschichte angehört und mich kurz untersucht hatte, sprach er nur von Schmerzgedächtnis und ganzheitlichem Vorgehen und stellte grundsätzlich in Frage, ob Laufen denn wohl der richtige Sport für mich wäre…
Laufpause
Auch wenn mich das Fazit meines Hausarztes ziemlich geschockt hat, musste ich ihm doch in einem Punkt Recht geben: eine Laufpause was das Einzige, das ich bisher noch nicht ausprobiert hatte. Neuer Plan: Laufpause für den kompletten September mit möglicher Verlängerung. Statt Laufen war mehrmals die Woche Stabi-Training entsprechend der Übungen aus dem Buch „Running Rewired“ angesagt.
Im Oktober bin ich dann ganz langsam mit Spaziergängen und einzelnen, kurzen Läufen wieder eingestiegen. Das Ergebnis war enttäuschend, denn schon beim Spazieren war das Ziehen im Po direkt wieder da. Trotzdem bin ich zwei Mal in der Woche laufen gewesen – denn verschlimmert hat es sich dadurch ja auch nicht.
Physiotherapie – diesmal richtig
Zum Glück war ich so schlau und hatte mich zwischenzeitlich um einen Termin beim Physiotherapeuten meines Vertrauens bemüht. Nach gut zwei Monaten Wartezeit war es im November dann endlich soweit. Diagnose: mein Körper ist nicht und funktioniert nicht symmetrisch. Zur Skoliose kommt eine leicht Schiefhaltung des Kopfes und eine Verkürzung des linken Beines. Beides wurde ruckartig korrigiert…
Und siehe da: die Schmerzen waren zwar nicht wie weggeblasen, aber doch sehr deutlich reduziert. Und das schon am nächsten Tag. Weitere Termine bestätigten, dass sich meine Körperstatik deutlich zum Positiven verändert hatte.
Im Behandlungszeitrum konnte ich auch eine Bewegungsanalyse bei Möllers in Münster machen, die die Asymmetrien in meinem Körper nochmal deutlich machte. Vor allem das Abkippen des Beckens rechts war endlich mal ein konkreter Ansatzpunkt, der meine Schmerzen erklären konnte.
Hilfreich war für mich aber auch die Einschränkung durch den Physiotherapeuten: Er fand es nicht sinnvoll, den Körper in eine künstliche Symmetrie bringen zu wollen. Es gäbe sicher Punkte, an denn ich arbeiten sollte. Aber ich solle auch respektieren, dass die ideale Haltung für meinen Körper mit seinen Voraussetzungen (Skoliose) eben nicht dem Lehrbuch entsprechen muss.
In der Folge habe ich mindestens ein Mal pro Woche Core-Workouts gemacht: Glute Bridges, Side Planks und Kettlebell Swings. Dazu noch sanftes Dehnen. Das schien ein gewisse Stabilisierung zu bringen, aber eine echte Besserung stellte sich wieder nicht ein. Im Februar 2022 hatte sich das Schmerzbild leider wieder auf „Normal-Niveau“ eingependelt.
Die qualvolle Lösung
Durch einen Leser-Tipp habe ich mich dann nochmal mit Faszienbällen beschäftigt. Das hatte am Anfang meines Leidensweges genau so wenig gebracht wie Massagepistolen – außer noch mehr Schmerzen durch die Behandlung. Allerdings hatte ich nur relativ kleine Bälle (8 cm), die wahrscheinlich an jeder Stelle des Körpers Schmerzen verursachen würden. ;)
Ich bin dann mit einem größeren Ball (10 cm) in die Behandlung eingestiegen und habe morgens und abends damit nach Schmerzpunkten am rechten Po gesucht und behandelt. Mehr als 30 Sekunden bis eine Minute war anfangs gar nicht möglich, weil ich selbst bei wenig Druck ziemliche Schmerzen hatte.
Nach etwa einer Woche waren ganz langsam Veränderungen zu spüren. Die Schmerzen wurden weniger und der Schmerzbereich kleiner. Es gab sogar immer mal wieder Tage, an denen kein besonderer Schmerzpunkt auszumachen war. Parallel dazu häuften sich die Läufe, an denen ich symptomfrei war.
Seit März 2022 notiere ich mir nur noch ganz selten Empfindungen am ISG / Piriformis. Von Schmerzen will ich da gar nicht mehr reden. Das betrifft meist Tage, an denen ich sehr viel gesessen habe. Den Faszienball hole ich nur noch alle paar Tage heraus, um kurz die Lage zu checken. Manchmal lohnt sich das, aber meist kann ich ihn direkt wieder weg legen.
Aktueller Stand
Mittlerweile sind wir im Mai 2022 und ich würde mein Problem als behoben ansehen. Selbst bei intensiven Trainingseinheiten oder Wettkämpfen taucht die Problematik nicht wieder auf – oder ist zumindest nicht weiter erwähnenswert. Und das ohne weiterhin regelmäßig den Faszienball benutzen zu müssen!
Im Rückblick fällt es mir schwer eine genaue Diagnose zu stellen, was denn da eigentlich passiert ist. Letztendlich zählt ja auch nur, dass ich das Problem (oder sind es nur die Symptome?) beheben konnte und jetzt wieder schmerzfrei laufe. Dass das letztendlich durch eine einfache Übung und etwas Geduld möglich war, verursacht bei mir immer noch Kopfschütteln. ;)
Was habe ich gelernt?
In dem ganzen Prozess stecken für mich sehr viele Lektionen. Das fängt schon ganz vorne an: ich hätte mich nicht über so lange Zeit in diese Problematik reinlaufen dürfen. Klar ist das tückisch, wenn eine Entwicklung so schleichend verläuft. Zukünftig werde ich da sicher viel, viel aufmerksamer sein.
Dann habe ich gelernt, dass bei mir vieles Kopfsache ist und das beim Laufen einfach nicht gut funktioniert. Ich habe zum Beispiel sehr lange versucht, durch bewusste Beeinflussung meiner Lauftechnik (Fußaufsatz, Beckenkippung, Armschwung, …) eine Lösung zu finden. Manchmal war das auch kurzfristig möglich, aber langfristig kann das nie funktionieren.
Die andere Dimension ist, dass meine Aufmerksamkeit beim Laufen ständig bei der Schmerzregion war und das ganz sicher auch nicht geholfen hat. Die kurzfristigen „Erfolge“ nach der Konsultation eines neuen Experten führe ich darauf zurück, dass ich überzeugt von einer baldigen Lösung war – und mein Kopf etwas loslassen konnte.
Die größte Lektion war aber wohl die Erkenntnis, dass ich selbst der größte Experte für meinen Körper bin. Die verschiedenen Fachmeinungen waren sehr wichtig – aber keiner der Spezialisten konnte für mich den Job übernehmen, alle Teile des Puzzles zusammenzusetzen. Daher fand ich es wichtig, die verschiedenen Maßnahmen und deren Ergebnis in einem Trainingstagebuch festzuhalten. Denn natürlich kann man sich selbst auch am leichtesten betrügen… ;)
Was läuft? Podcast – Episode 84 – Lange (Verletzungs-)Pause, lange Gesichter?
Bei Martin und Volker lief es in der letzten Zeit auch nicht so rund, daher haben wir uns im Podcast ausführlich über das Thema Verletzungen unterhalten.