Das „Laufen nach Watt“ ist immer noch eher ein Nischenthema. Aber durch die höhere Verfügbarkeit der Leistungsmessung steigt auch die Zahl der Läufer, sie mit solchen Systemen unterwegs sind. Der Einstieg ist oft schwierig, denn man muss erstmal lernen, mit der neuen Metrik umzugehen. Der nächste Wunsch ist häufig, sein komplettes Training auf Watt umzustellen. Aber ist das der richtige Weg?
Disclaimer: ich bin kein Trainer, habe nicht Sportwissenschaften studiert oder wäre aus einem anderen Grund ein Fachmann für das Thema. Aber als Läufer habe ich einige Erfahrungen mit den drei Metriken gesammelt und festgestellt, dass ich deren Bedeutung und Einsatzzweck immer mal wieder neu für mich einordne.
Inhalt / Content
Anamnese ;)
Wenn ich in meine Aufzeichnungen gucke, habe ich bereits vor zwanzig Jahren meine erste Leistungsdiagnostik gemacht, um meine Herzfrequenz-Zonen genau bestimmen zu können. Auch bei meinem Wiedereinstieg ins Laufen war die Festlegung der Zonen der oberste Punkt auf meiner ToDo-Liste. Schließlich sind diese für die Befolgung eines Trainingsplans meist die wichtigste Grundlage.
Dann bin ich von Steffny zu Jack Daniels gewechselt, der für seine Trainingseinheiten nur Pace-Vorgaben macht. Das System hat gut für mich funktioniert und so habe die Herzfrequenz immer weniger beachtet. Als ich dann vor gut zwei Jahren angefangen bin mit dem Stryd zu laufen, habe ich versucht seine Tempovorgaben in Watt umzurechnen. Seit gut einem Jahr ist die Running Power nun meine führende Metrik, nach der ich trainiert habe und Wettkämpfe gelaufen bin.
Doch ehrlich gesagt hat auch das weder Pace noch Puls vom Bildschirm meiner Laufuhr(en) verdrängt. Im Standard-Setup habe ich immer alle drei Werte auf dem Display und auch (in unterschiedlicher Intensität) im Blick.
Entweder – oder?
Wenn ich mir Diskussionen zum Thema „Pace oder Herzfrequenz“ im Internet ansehe, scheint es da feste Lager zu geben. Beim Laufen nach Watt sind die Positionen schon nicht mehr so stark, weil die Technik sicher noch zu neu ist und sich viele davon noch kein ausreichendes Bild gemacht haben.
Dabei beschränken sich selbst etablierte Trainingspläne eher nicht nur auf eine der Metriken. Steffny gibt zum Beispiel die Intensität für Dauerläufe in Prozent der maximalen Herzfrequenz an, während er für Intervalle ausschließlich Pace-Vorgaben macht. In anderen Plänen trifft man auf die Angabe „Zone X“, die sowohl über die Herzfrequenz als auch die Pace abbildbar ist. Genau genommen auch über die Leistung, wie es zum Beispiel Michael Arend in seinen Trainingsplänen macht. Für ihn ist in Plänen mit festen Zielzeiten (Marathon in 3:30h) natürlich die Pace die wichtigste Vorgabe, läßt aber auch die „Umrechnung“ in Puls, Power oder Gefühl (RPE) zu.
Ich halte diesen Ansatz für extrem sinnvoll und zielführend! Denn selbst wenn man Pace als ideale Vorgabe für flache Straßenläufe akzeptiert muss man zugeben, dass diese im Training nicht unbedingt im Sinne des Trainingsziels umsetzbar ist. Davon können Läufer in hügeligen oder gar bergigen Gegenden sicher ein Lied singen. Ein Nebeneinander von Pace-, Puls- und Power-Zonen ist also wünschenswert.
Exkurs: Zonen
Kleine Erinnerung: ich bin kein Trainer, sondern nur ein Läufer mit fundiertem Halbwissen. ;) Also nagelt mich nicht fest oder nehmt das hier als absolute Wahrheit. Ich trage nur zusammen und schreibe über meine eigenen Erfahrungen damit.
Es gibt sehr unterschiedliche Modelle, in wie viele Zonen man seine Trainingsintensitäten einteilen sollte. Im Wesentlichen basieren sie aber alle auf zwei physiologischen Schwellen: der aeroben und der anaeroben. Haben wir alle schon mal gehört, aber genau erklären kann es keiner. ;) Ich versuche es auch gar nicht erst.
Das einfachste Zonen-System besteht dann aus drei Bereichen: (1) unterhalb der aeroben Schwelle, (2) zwischen den beiden Schwellen und (3) oberhalb der anaeroben Schwelle. Die gängigsten Systeme verwenden fünf Zonen. Dann sind die Zonen (1) und (2) von gerade jeweils nochmal aufgesplittet. Das Spiel kann man dann noch weiter treiben und noch mehr Zonen bilden. Ich finde das 5-Zonen-Modell am griffigsten, auch wenn man trotzdem noch in „Zone 3 unten“ oder „Zone 4 oben“ denken sollte.
Wie komme ich an meine Werte für die Schwellen? Die Profi-Methode ist sicher eine Leistungsdiagnostik. Die Investition kann sich lohnen, denn wenn man nicht gerade Laufanfänger ist, sollten sich zumindest die HF-Werte nicht großartig über die Zeit verschieben. Daher ist die Bestimmung der Herzfrequenz-Zonen für mich auch der wichtigste Schritt, denn Pace und Power sind letztendlich „bewegliche Ziele“, die mit dem Trainingsfortschritt angepasst werden müssen. Wer nicht um Rekorde mit läuft, kann mit kleinen Tests beide Schwellen relativ gut selbst bestimmen.
Aerobe Schwelle
Die aerobe Schwelle liegt ungefähr an dem Punkt, an dem man noch ohne Anstrengung durchgehend reden kann (Talk Test). Das ist wohl die gängigste Daumenregel, die man auch immer wieder hört – an der sich aber schwer eine genaue Pace oder Herzfrequenz festmachen lässt. Seltener findet man die Angabe, dass auch die Nasenatmung an der aeroben Schwelle nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Das lässt deutlich präziser testen: nach dem Warmlaufen erhöht man alle 2-3 Minuten leicht das Tempo, bis man nicht mehr ausschließlich durch die Nase atmen kann. Kann man das Tempo bei ein paar Herzschlägen unter diesem Punkt für gut zehn Minuten halten, dürfte der Durchschnitt ungefähr der aeroben Schwelle entsprechen. (Quelle)
Anaerobe Schwelle
Tests zur Bestimmung der anaeroben Schwelle findet man dagegen wie Sand am Meer. Ich halte mich da an die Beschreibung von Joe Friel, die auch durch eine aktuelle Studie bestätigt wird: man macht einen 30-Minuten-„all-out“-Test und nimmt den Durchschnitt der letzten 20 Minuten. Die Methode von Stryd zur Bestimmung ihrer „Critical Power“ produziert bei mir gleich gute Ergebnisse: man läuft entweder 3 und 6 Runden oder 3 und 9 Minuten „all-out“ und berechnet daraus dann die Schwelle: (9min_Pace*9-3min_Pace*3)/(9-3)
Was, wann und warum
Zum Kern der Sache: wonach soll ich denn jetzt trainieren? Ich würde sagen: es kommt darauf an. ;) Die drei Metriken haben alle ihre Vor- und Nachteile:
Puls
Um die Messung der Herzfrequenz kommt man beim Laufen ja fast nicht herum. Sie ist sicher auch die Metrik mit der längsten Tradition und den größten Erfahrungswerten. Benutzt man einen Brustgurt, sollte auch die Verlässlichkeit und Qualität der Daten im Vergleich zu Pace und Power am höchsten sein. Meiner Erfahrung nach bietet die Herzfrequenz auch das stabilste System: meine anaerobe Schwelle hat sich in den letzten drei Jahren nur minimal bewegt (zwei Schläge), während die Pace an der Schwelle sich deutlich entwickelt hat.
Gleichzeitig ist der Puls aber am anfälligsten für „Störeinflüsse“: bei Hitze und Stress ist er deutlich höher, kann aber auch mal nicht aus dem Keller kommen. Teilweise lässt sich daraus eine mangelnde Erholung ablesen oder die Vorzeichen einer Erkältung. Aber letztendlich bleibt der Puls eine „Blackbox“ bei der nicht klar, was da gerade alles am Werk ist.
In der Praxis kommen Abweichungen aber eher selten vor und sind wenn auch ein hilfreiches Signal. Bei allen Dauerläufen gucke ich eher auf die Herzfrequenz als auf die Pace. Das Zusammenspiel der beiden Werte kann weitere wertvolle Informationen liefern: bleiben beide relativ konstant bei einem längeren Dauerlauf, deutet das auf eine gute Ausdauer hin. Entwickelt sich dagegen der Puls im Lauf der Zeit deutlich nach oben, ist das eher ein Zeichen für das Gegenteil.
Der so genannte „kardiovaskuläre Drift“ tritt aber quasi gewollt bei Wettkämpfen ein. Hier würde ich mir mittlerweile zutrauen ein 10-km- oder Halbmarathon-Rennen ziemlich gut nach Puls zu pacen – wenn es nicht zu heiß ist. Bei allen Läufen mit Bestzeiten war ich immer die längste Zeit des Rennens kurz unterhalb der anaeroben Schwelle unterwegs und hätte so weder Pace noch Power gebraucht.
Bei Einheiten mit schnellen Tempo- bzw. Belastungswechseln kommt die Herzfrequenz auf Grund ihrer Trägheit aber so schnell nicht nach. Intervalle nach HF-Vorgaben zu machen ist also nicht besonders sinnvoll. Da eignen sich die anderen beiden Metriken deutlich besser.
Pace
Abhängig von der GPS-Qualität ist die Geschwindigkeit ein bestechend präziser und eindeutiger Wert. Dazu kommt noch: auf den Wettkampf-Urkunden steht immer die Zeit und keine Herzfrequenz oder ein Watt-Wert. ;) Es macht also schon Sinn zu wissen, ob man eine bestimmte Pace durchhalten kann. Auch gibt es mit dem VDOT-System von Jack Daniels ein sehr bewährtes System für die idealen Trainingsgeschwindigkeiten.
Gleichzeitig ist die Pace aber auch wieder abhängig von Steigung oder Untergrund. Bergauf oder in weichem Sand sinkt die Pace, obwohl die Anstrengung die gleiche bleibt oder sogar noch steigt. Ein langer Schwellenlauf in hügeligem Gelände würde die Schwelle also vielleicht nur selten treffen, wenn man sich dafür nur nach der Pace richtet. Ausserdem berücksichtigt die Pace keine „internen Faktoren“: schießt die Herzfrequenz bei gleicher Pace total in die Höhe, kann das ein guter Grund sein, das Tempo zu drosseln – auch wenn es so im Trainings- oder Wettkampfplan steht. Wer nur nach Pace läuft, übersieht mit dem Puls also einen wichtigen Faktor.
Power
Die Laufleistung beschreibt die aktuelle Intensität beim Laufen am besten. Sie läuft weder nach, noch ist sie abhängig von Steigung oder Untergrund. 300 Watt sind einfach immer 300 Watt. Das macht eine exakte Trainingssteuerung möglich und Läufe untereinander sehr gut vergleichbar. Mit Tools wie TrainingPeaks oder WKO4 sind zudem erweiterte Auswertungen möglich, die über die der anderen Metriken weit hinaus geht.
Das Pacing nach Watt für Tempoläufe oder bei Wettkämpfen erzeugt eine sehr gleichmäßige, ideale Belastung – und das auch in hügeligem oder bergigen Gelände. Das ist in der Form weder nach Puls oder Pace möglich.
Allerdings ist Power auch die neueste der drei Metriken und es fehlen immer noch Erfahrungswerte. Die derzeit verfügbaren Geräte (Stryd, Garmin Runnnig Power, Polar Vantage V, RunScribe Plus) produzieren alle unterschiedliche Werte nach deren eigenen Standards und sind untereinander nicht vergleichbar. Wer also eine Zeit lang mit der „Wattmessung am Handgelenk“ der Vantage V gelaufen ist und dann auf den Stryd umsteigt, fängt bei der Datenaufzeichnung in Bezug auf Vergleichbarkeit untereinander wieder bei Null an…
Dazu kommt, dass auch die Leistungsmessung nicht alle Parameter berücksichtigt: Gegenwind wird garnicht erfasst und da die Wattwerte vom aktuellen Gewicht des Läufers abhängig sind, wird auch die „Beladung“ durch einen Rucksack bei Trail-Wettkämpfen schnell zu einem Faktor, der nur schwer zu berücksichtigen ist.
Trotzdem lässt sich die Trainingsbelastung nach Watt sicher am präzisesten steuern. Dazu muss die Trainingseinheit nicht mal Watt-Vorgaben machen. Beispiel „langer Lauf“, die Vorgabe ist Zone 2 nach Herzfrequenz. Vermutlich wird der kardiovaskuläre Drift dazu führen, dass ich im letzten Drittel nicht mehr in Zone 2 bleiben kann, oder die Pace immer weiter senken müsste. Oder ich richte mich nach dem Warmlaufen einfach nach dem Wattwert, der mir angezeigt wird und nehme ihn als neue Vorgabe für den Rest des Laufes. Dann darf am Hügel auch die Herzfrequenz leicht hoch und die Pace deutlich runter gehen, denn die Power läßt mich weiterhin in der gleichen vorgegebenen Intensität laufen.
Steigungen sind überhaupt ein gutes Beispiel. Mit einiger Erfahrung kann man die sicher auch nach Puls oder Pace (genau genommen nach Gefühl!) laufen. Doch um wie viel langsamer muss ich bei genau dieser Steigung denn werden, um in gleicher Belastung weiterlaufen zu können? Ein Blick auf den Wattwert beim Anlaufen an den Hügel bringt Sicherheit, denn ich kann mich einfach danach richten, auch wenn ich vorher nach Pace oder Puls gelaufen bin.
Ich kombiniere!
Jede der drei Metriken läßt sich also gut als Trainingsvorgabe benutzen, wenn man sich der entsprechenden Eigenarten bewusst ist. Wer auf bestimmte Zielzeiten aus ist, wird mit Pace-Vorgaben am besten fahren, muss diese aber immer wieder an den aktuellen Leistungsstand anpassen. Die Herzfrequenz-Zonen sind dagegen häufig so gleichbleibend, dass man sich auch langfristig nicht ständig neu orientieren muss. Im Wettkampf, bei Hitze oder bei Krankheit sind die Werte aber vielleicht nicht zu gebrauchen… Die Leistungsmessung bietet die präzisesten Vorgaben und läßt sich auch gut ergänzend einsetzen. Man darf bloß nicht die Hardware wechseln. ;)
Ich plädiere für Flexibilität und die schlaue Kombination der drei Metriken. Egal nach welcher Vorgabe ich gerade laufe, ich werde immer die Herzfrequenz beobachten, um bei Auffälligkeiten darauf zu reagieren (Krankheit im Anmarsch?). Bei Läufen im Schwellenbereich werde ich auch immer auf die Pace schielen, denn ich will im Wettkampf ja eine gute Zeit auf der Urkunde stehen haben. Und die Power-Anzeige bekommt spätestens beim nächsten Hügel ihre Aufmerksamkeit.
Aber auch die rechnerische Kombination der drei Werte macht in der Auswertung und für langfristige Betrachtungen Sinn.
Pace/Puls
Der Puls sollte im Verlauf der Trainingsjahre durch die Erhöhung des Herzschlagvolumens und die effizientere Nutzung des Blutsauerstoffs bei gleicher Pace sinken. Das Verhältnis von Pace zu Puls ist also ein guter Indikator für die Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems. Man kann den Wert pro Lauf betrachten oder als mittel- bzw. langfristigen Trend.
Power/Puls
Wie oben bereits festgestellt, ist die Pace abhängig von z.B. Steigungen, auf die der Puls nicht in gleicher Weise reagiert. Das Verhältnis von Power zu Puls ergibt daher wesentlich vergleichbarere Werte, drückt aber im Grunde das gleiche aus wie Pace/Puls.
Pace/Power
Die Laufeffizienz (Running Effectiveness RE) von Dr. Andrew Coggan hat mittlerweile sogar Einzug in Runalyze gehalten. :) Sie gibt an, wie effektiv ein Läufer die aufgebrachte Leistung in Geschwindigkeit umsetzen kann. Je höher der Wert, desto höher die Effizienz. Für mich ist das ein wichtiger Faktor zur Schätzung von Wettkampfzeiten.
Fazit
Wer alle drei Metriken zur Verfügung hat, sollte auch alle drei gemeinsam (!) nutzen. Mal ist die eine vorzuziehen, mal die andere. Ein Entweder-Oder macht für mich keinen Sinn. Ob sich der (auch finanzielle) Aufwand lohnt Power den quasi unausweichlichen Puls- und Pace-Werten hinzu zu fügen, muss jeder für sich selbst beurteilen. Wer quasi nie im Flachen trainieren kann oder ein Zahlenfreak ist (so wie ich), kann sicher davon profitieren. Die höchste Kunst ist es allerdings, nicht auf die Uhr gucken zu müssen und im Zweifelsfall alle Intensitätsbereiche nach Gefühl laufen zu können.