Meine Trainingssteuerung basiert bisher (ehrlich gesagt) auf meinem Gefühl. Denn die Leistungsdiagnostik vor 16 Jahren hat sicherlich vor 15 Jahren ihre Aussagekraft verloren. Die Trainingsbereiche fürs Laufen habe ich auf Grundlage meines Maximalpulses und den bekannten Faustformeln bestimmt. Ganz so falsch kann das alles nicht gewesen sein, denn schließlich habe ich meine gesteckten Trainingsziele doch gut erreicht. Aber mich wurmt es schon lange, eine Drehzahlanzeige (sprich: Pulsuhr) am Arm zu tragen, deren Skala ich nicht kenne.
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Vorüberlegungen
Mir geht es darum meine Trainingsbereiche zu kennen. Mit welcher Herzfrequenz soll ich also die langen Läufe machen? Wo ist meine Grenze der aeroben Ausdauerfähigkeit? Und darüber hinaus: wo stehe ich derzeit mit meiner körperlichen Fitness? Um diese Fragen zu beantworten, gibt es zwei Wege: die Laktatanalyse und die Spiroergometrie. In beiden Fällen wird man aufs Laufband geschickt und muss stufenweise schneller laufen.
Bei der Laktatanalyse bekommt man nach jeder Stufe einen Piks ins Ohr und es werden einige Tropfen Blut entnommen, um daraus den Laktatwert für diese Stufe zu bestimmen. Die Spiroergometrie misst über eine Atemmaske dagegen jeden einzelnen Atemzug und bestimmt die Schwellen über eine Atemgasanalyse. Der Goldstandard in der Leistungsdiagnostik ist wohl beides gemeinsam machen zu lassen, wobei eine reine Spiroergometrie vollkommen ausreichend ist.
Nun ist das Ganze natürlich auch eine Kostenfrage. Viele Institute haben sich auf folgende Preisstruktur eingependelt: ein Laktattest kostet ca. 100 Euro, die Spiroergometrie 150 Euro und beides zusammen 200 Euro. Viel Geld für ein Ergebnis, das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht signifikant von den berechneten Trainingsbereichen abweicht…
In erreichbarer Nähe befinden sich für mich das Institut für Leistungsmedizin Münster, das Zentrum für Sportmedizin in Münster, Medicos auf Schalke und die Sportklinik in Duisburg. Nach der Klärung der möglichen Termine und der Kosten, habe ich mich dann für die Leistungsdiagnostik beim Institut für Leistungsmedizin Münster entschieden. Nach telefonischer Beratung durch Garry Palmer (Master of Sports Science / Diplom-Sportwissenschaftler) entschied ich mich wegen der größeren Aussagekraft für eine Spiroergometrie.
Ablauf der Spiroergometrie
Ich bekam relativ kurzfristig einen Termin für die Untersuchung in Dülmen-Rorup – keine 10 Minuten von meinem Wohnort entfernt. Am Tag vorher solle ich nicht trainieren und am Untersuchungstag die letzte Mahlzeit mindestens zwei Stunden vor dem Termin einnehmen. Gar nicht so einfach, wenn das an einem Samstagmorgen um 9 Uhr ist… Aber was macht man nicht alles für den Sport. ;)
Garry Palmer nahm mich nett in Empfang und erklärte mir kurz den Ablauf der Untersuchung. Wir waren alleine in der Praxis, so war alles sehr entspannt. Los ging es mit einem kleinen Fragebogen zu Größe, Gewicht, Trainingsumfang und Trainingszielen. Nachdem er sich ein Bild von meinem derzeitigen Trainingsstand gemacht hatte, folgte die Messung des Körperfettanteils. Im Liegen wurden dazu Elektroden an einer Hand und einem Fuß befestigt. Das Profi-Messgerät spukte natürlich leicht andere Daten aus, als meine Körperfettwaage: wurden mir dort kurz vorher noch 17,5% angezeigt, bescheinigte mir Herr Palmer einen Körperfettanteil von nur 14%. Das ging also schon mal gut los. :)
Ab aufs Laufband
Mit dem Aufsetzen der Atemgasmaske würde es ernst – dachte ich. Schließlich hatte ich mich auf eine knackige Einheit bis zur nahen Erschöpfung eingestellt. Doch erstmal war ein Lungenfunktionstest in Ruhe dran. Ein paar Mal tief ein- und ausatmen. Das war auch gut, um sich ein wenig an die Maske zu gewöhnen.
Auf dem Laufband erwartete mich dann endlich ein wenig Bewegung. Mit Betonung auf „ein wenig“, denn lockeres Gehen und zügiges Gehen waren die ersten beiden Belastungsstufen. Aber ich hatte auch genug damit zu tun die Schläuche vor meinem Gesicht zu bändigen und nicht vom Laufband zu fallen. ;)
Für die nächsten drei Stufen wurde das Laufband nicht nur schneller, sondern stellte sich auch noch leicht auf (das ist im Video ganz gut zu sehen). Mittlerweile hatte ich gelernt in der Mitte des Bandes und weit genug vorne zu bleiben. Die vorletzte Stufe entsprach ungefähr der Belastung eines Tempolaufs, war also noch gut machbar. Die Stufe danach war deutlich anstrengender.
Mir lief der Schweiß mittlerweile ganz schön runter. Garry gab immer wieder Feedback und sagte mir die Zeiten bis zum Ende der Stufe an. Ich war mir nicht sicher, ob ich die nächste Stufe noch komplett durchhalten würde – aber ich würde es versuchen. Doch zu meiner Verwunderung wurde das Laufband langsamer und fuhr in seine Startposition zurück. Ich gab zu verstehen, dass ich noch eine Stufe geschafft hätte, aber er winkte ab: wir haben alles, was wir brauchen. Nach ein paar Minuten Auslaufen wurde ich dann endlich von der Atemmaske befreit und wir waren fertig.
Besprechung
Am Bildschirm gab mir Garry Palmer dann einen ersten Überblick über die Messung. Aus den verschiedenen Diagrammen wählte er immer wieder ein passendes aus, um mir seine Diagnose zu erklären. Auch die resultierenden Trainingsbereiche konnte ich schon einsehen. Einige Werte kamen mir ganz bekannt vor. ;) Bei anderen war ich sehr überrascht. Ich bekam aber auch Feedback zu meinem Laufstil auf dem Band und viele gute Trainingstipps. Unser Gespräch endete erst, als ich wirklich keine Fragen mehr hatte.
Er versprach mir die Protokolle noch einmal genau zu kontrollieren und mir die Ergebnisse spätestens am Montag zu schicken. Sie kamen bereits am Sonntag und warfen noch ein paar Fragen auf, die mir aber geduldig per eMail beantwortet wurden.
Testergebnisse
Zur Dokumentation der Leistungsdiagnostik habe ich drei Dokumente bekommen: ein Protokoll über die Messung des Körperfettanteils („Profil der Körperzusammensetzung“), die Messergebnisse der Spirometrie und ein dreiseitiges Dokument „Trainingsempfehlungen Laufen„. Daraus lassen sich vor allem meine Trainingsbereiche basierend auf der Herzfrequenz ablesen, aber auch meine aerobe Schwelle und die maximale Sauerstoffaufnahme VO2max.
VO2max
Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max, auch maximale Sauerstoffkapazität) gibt an, wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper im Zustand der Ausbelastung maximal pro Minute verwerten kann – so Wikipedia. Sie ist ein Kriterium für die Ausdauerleistungsfähigkeit eines Menschen, stellt aber nur eine Obergrenze da, die kurzfristig erreicht und gehalten werden kann (ein paar Minuten vielleicht). Es geht also mehr um das Ausdauerpotential als um eine abrufbare Dauerleistung.
Auf diesen Wert war ich jedenfalls am meisten gespannt. Bisher habe ich immer mit dem rechnerischen Vdot von Jack Daniels gearbeitet, weil Runalyze ihn auch automatisch berechnet. Doch der ist natürlich nur ein Hilfsmittel, da man seine maximale Sauerstoffaufnahme ja nicht ständig bestimmt.
Es war auch der erste Wert, den Garry Palmer nach der Diagnostik kommentierte. „Phänomenal“, meinte er. „Nicht gut: phänomenal!“ Offensichtlich sind die gemessenen 62,3 ml/min/kg wirklich ganz gut – zumindest für einen 43-jährigen Freizeitsportler. Nach den VO2max-Standard-Bewertungen des Cooper Institutes wäre für einen 40-49 Jahre alten Mann ein Wert von 52,5 bereits überragend – und das Ende der Skala… Marquardt bewertet in seiner Laufbibel * Werte von 50-60 als „ambitionierter Freizeitsportler“ und 60-75 als „Leistungssportler“.
Nun gut. Das soll wohl bedeuten, dass ein gewisses Potential zu Ausdauerleistungen vorhanden ist und ich mir ruhig hohe Ziele stecken kann. Gut zu wissen. :)
Anaerobe Schwelle
Richtiger wäre bei einer Spiroergometrie wohl der Begriff ventilatorische Schwelle. Beides gibt die höchstmögliche Belastungsintensität wieder, die ein Läufer über längere Zeit aufrecht erhalten kann – grob gesagt.
Dieser Wert hat mich nicht überrascht, denn genau an dieser Schwelle läuft man normalerweise einen Halbmarathon. Meine eigenen Erfahrung aus zwei Wettkämpfen sagten eine Herzfrequenz von 168 Schlägen voraus. Die Spiroergometrie ermittelte 169 Schläge. ;) Auch wenn das für mich keine Überraschung war, ist der ermittelte Wert dennoch wohl der zentrale Wert der Diagnostik. Denn die Empfehlungen zu den Trainingsbereichen leiten sich von ihm ab.
Trainingsbereiche
Zur Ermittlung der Trainingsbereich wird die anaerobe Schwelle mit 100% HF (Herzfrequenz) gleichgesetzt – was mir erstmal merkwürdig erschien. Schließlich rechnet man nach den Faustformeln immer von der maximalen Herzfrequenz herunter. Und die liegt bei mir deutlich über 169 Schlägen pro Minute.
Aber gut, die Ergebnisse sind trotzdem sehr nachvollziehbar und sehen wie folgt aus:
Diese Empfehlungen unterscheiden sich deutlich von meinen bisherigen (errechneten) Trainingsbereichen! Hier mal zum Vergleich meine bisherigen Vorgaben zu Trainingssteuerung (basierend auf der maximalen Herzfrequenz von 193):
Die zu Grunde liegende maximale Herzfrequenz basiert zwar auf einem real aufgezeichneten Wert (Schlußspurt im Wettkampf über 5 km), führt aber offensichtlich zu völlig überzogenen Werten. Der Bereich GA2 beginnt dort ungefähr an der jetzt gemessenen anaeroben Schwelle. Für den Spitzenbereich hätte ich sicher keine Luft mehr. ;) Gut, dass ich mich an den Werten kaum orientiert habe.
Konsequenzen für mein Training
Wenn ich die Trainingseinheiten der letzten Wochen und Monate kritisch betrachte und mit den neuen Trainingsbereichen vergleiche, wird eines sofort klar: ich bewege mich fast ausschließlich im Bereich Grundlagenausdauer 2. Lange Läufe fanden an seiner Untergrenze statt, Tempoläufe an der Obergrenze – jedenfalls so grob. Das bedeutet wohl, das mein Belastungsspektrum viel zu gering ist.
„Make the hard runs hard and the recovery runs easy“ – Ryan Hall
Damit hat wohl nicht nur Ryan Hall, sondern auch Garry Palmer Recht. Denn genau den Spruch hat er mir mit auf den Weg gegeben.
Im Gespräch habe ich noch behauptet, dass ich gar nicht so langsam laufen könne, wie es nach den Vorgaben für lange Läufe notwendig wäre. Aber das stimmt nicht: in Begleitung laufe ich mit durchschnittlichen Herzfrequenzen von ungefähr 130 – also eher am unteren Bereich von GA1. So wie es richtig wäre. Es liegt wohl eher an meinem Kopf, dass ich alleine in ein höheres Tempo verfalle.
Tempoläufe fallen mir schon leichter, aber ich bleibe tendenziell zu viel unterhalb des Schwellenbereiches. Also bei ungefähr 160 statt 168. Da darf ich ruhig ein wenig schärfer ran gehen. Gleichzeitig wundert mich aber, dass ich meinen letzten Halbmarathon quasi durchgehend oberhalb meiner Schwelle gelaufen sein soll. Wobei sich diese geringfügige Verschiebung von 4-5 Schlägen natürlich auch durch den unterschiedlichen Trainingszustand ergeben kann. „Damals“ stand ich gerade voll im Saft und jetzt komme ich aus einer längeren Grundlagenphase.
Bei den Intervallen habe ich mich glaube ich zu sehr an Tempovorgaben statt an der Herzfrequenz orientiert – und damit viel Entwicklungspotential vertan. Denn statt die Schwelle mal deutlich zu überschreiten, habe ich sie meist nur gestreift. Wenn überhaupt.
Ein gutes Zeugnis kann ich mir eigentlich nur für die letzten Wettkämpfe ausstellen. Da habe ich mir wirklich nichts geschenkt und bin permanent an meine Grenzen gegangen.
Nebenschauplatz
Ein weiteres Feedback habe ich aus dem Termin mit Garry Palmer mitgenommen: „Du läufst schlecht.“ Damit war natürlich meine Technik auf dem Laufband gemeint. Das Geschlurfe war mir auch aufgefallen und resultierte natürlich zu einem Teil aus dem ungewohnten Laufterrain (mit Neigung). Aber er hat schon Recht: ich mache weder Stabilisationsübungen noch Lauf-ABC. Ich laufe einfach. Wo soll also eine gute, saubere Technik her kommen?
Da ist ein gewisser Widerstand solche Übungen ins Training einzubauen. Schließlich möchte ich in meiner (manchmal knappen) Freizeit gerne wirklich einfach nur laufen. Ich will nicht auf einer Matte rumturnen oder über eine Wiese hüpfen. Aber ehrlich gesagt reift der Gedanken schon seit längerem in meinem Hinterkopf – aus eigener Erfahrung. Ich stelle immer wieder fest, wie ich bei langen und / oder anstregenden Läufen zum Ende hin förmlich einsacke – körperlich. Da muss ich unbedingt etwas für die Stützmuskulatur tun. Und so ein paar Übungen aus dem Lauf-ABC werden sich doch wohl einmal pro Woche beim Auslaufen einbauen lassen, oder?
Fazit
Ich bin wirklich froh einen Termin zur Leistungsdiagnostik gemacht zu haben. Und auch, mich für eine Spiroergometrie entschieden zu haben. Mit den Resultaten kann ich gut arbeiten und mein Training optimieren. Der Rückblick auf mein bisheriges Training ist schon ziemlich ernüchternd… Aber es ist natürlich auch gut, es jetzt auf Grundlage der Untersuchungen so beurteilen zu können.
Als erste Konsequenz bin ich meine letzten Intervalle wirklich hart gelaufen – und habe zum ersten Mal Gehpausen danach einlegen müssen. ;) In dieser Woche startet mein 6-Wochen-Trainingsplan für den Coesfelder Citylauf 2015 (Projekt 44). Ich bin sehr gespannt zu welcher Zeit mich die Umsetzung der neuen Erkenntnisse führen wird. Nicht, dass ich den Projekttitel noch ändern muss… ;)