Angeblich braucht der Stryd Footpod keine Kalibrierung. Er sei „out of the box“ für die Distanzmessung sehr genau – sagt der Hersteller. Nach meiner Erfahrung war das für den Stryd Summit auch der Fall, aber beim Stryd Wind sieht es für sehr viele Läufer ganz anders aus…
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Hersteller-Empfehlungen
Stryd empfiehlt für das Setup seines Footpods, den Kalibrierungsfaktor in der Uhr auf „100,0“ zu setzen und die Auto-Kalibrierung per GPS abzuschalten (wie bereits hier beschrieben). Das soll für die meisten Läufer dann passen.
Wer überprüfen möchte, ob der Faktor „100,0“ für ihn passt, kann ihn entsprechend einer Stryd-Anleitung überprüfen und ggf. neu kalibrieren.
Dazu soll man sich eine vermessene 400-Meter-Laufbahn suchen und auf der Außenlinie der Innenbahn laufen. Diese Linie sollte exakt 406 Meter lang sein. Allerdings soll man sich nicht darauf verlassen, sondern die Linie vorher nochmal mit einem Messrad überprüfen (nachdem man das Messrad mit einem Stahl-Maßband überprüft hat)…
Nachdem man sich warmgelaufen hat, soll man nun das GPS seiner Uhr abschalten und sicherstellen, dass die Uhr für die Distanzmessung per Stryd eingerichtet ist. Läuft man gegen den Uhrzeigersinn auf der Bahn, soll der Stryd am linken Fuß befestigt werden und der linke Fuß soll auch direkt an der Startlinie beginnen. Außerdem sollte natürlich dieser Fuß jedes Mal exakt auf der Linie landen.
Stryd empfiehlt direkt acht Runden zu laufen, die sich dann zu 3248 Metern addieren sollten. Man soll keine Laps erzeugen, weil man den richtigen Punkt sowieso beim Laufen nicht treffen würde. Allerdings soll man am Ende exakt auf der Ziellinie stehen bleiben und zwar (natürlich) mit dem linken Fuß. Erst nachdem man dort 10 Sekunden so stehen geblieben ist, soll man den Lauf an der Uhr beenden.
Anschließend soll man die Entfernung mit der errechneten vergleichen – entweder über das Hersteller-Portal der Uhr (z.B. Garmin Connect) oder nach einem Offline-Sync über das Stryd PowerCenter. Sollte es dabei Abweichungen geben, kann der neue Faktor leicht errechnet werden: (reale Distanz / gemessene Distanz) * 100.
Soweit die Theorie.
Realitäts-Check
Leider funktioniert die Anleitung in der Praxis nicht so wirklich. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, so eine Kalibrierung möglichst unter „Laborbedingungen“ zu machen. Dazu muss man sich dann ein Messrad anschaffen, mit dem Stryd-Fuß immer genau auf der Linie aufsetzen und am Ende 10 Sekunden auf dem Zielstrich stehen. Alles ok.
Ablesbarkeit
Das Problem ist nur: alle Distanzen oberhalb von einem Kilometer bekomme ich nicht auf den Meter genau angezeigt. Alle Hersteller-Plattformen sowie Strava, TrainingPeaks und Runalyze zeigen die Distanz nur in Kilometern und auf zwei Stellen hinter dem Komma an. Das bedeutet: nur auf 10 Meter genau.
Die 3248 Meter nach acht Runden kann ich also nirgendwo ablesen. Wahrscheinlich müsste die Anzeige dann auf 3,25 km stehen. Will man nicht auf Profi-Tools wie WKO5 zurückgreifen, bleibt einem nur das Stryd PowerCenter. Das zeigt zumindest für (Runden-) Distanzen unterhalb von einem Kilometer jeden einzelnen Meter an.
Ich müsste also spätestens bei jeder zweiten Runde auf der Bahn eine Lap erzeugen, damit ich die Distanzen nachher addieren kann und die sich hoffentlich zum gewünschten Wert ergänzen. Würde aber gehen.
Kalibrierungsfaktor
Mein zweites Problem: welche Genauigkeit brauche ich denn überhaupt und welche kann ich erwarten?
Der Kalibrierungsfaktor in den Uhren ist nur in 0,1%-Schritten einstellbar. Das entspricht auf der „Labordistanz“ von acht Runden 3,248 Meter Abweichung. Oder anders gesagt: ich komme rechnerisch auf einen Korrekturfaktor von 102,4, egal ob meine Uhr nach den acht Runden 3171, 3172 oder 3173 Meter anzeigt. Bei 10 Kilometern wären das schon 10 Meter Grauzone, weil der Korrekturfaktor die Genauigkeit limitiert.
Pace
Ich will mit dem Stryd aber natürlich keine Strecken vermessen. Aber aus Distanz und Zeit wird die Pace ermittelt und die kann eine wichtige Größe fürs Training oder den Wettkampf sein.
Bleiben wir mal bei den 10 Kilometern und nehmen an, dass ich die in 45 Minuten laufen will. Wenn ich genau auf der Ideallinie laufe, müsste ich also mit einer Durchschnittspace von 4:30 min/km ins Ziel kommen. Und nehmen wir mal an, mein Stryd misst wirklich out-of-the-box genau und bei einem Korrekturfaktor von „100,0“ sind 10 km gleich 10 km.
Wenn ich jetzt aus Versehen den Faktor auf „100,1“ stelle, misst der Stryd zu lang und ich würde bei einer Anzeige von 4:30 min/km auf der Uhr zu langsam laufen. Nur dass die echte Pace weiterhin 4:30 lauten würde und ich nur 3 Sekunden später als geplant ins Ziel käme. Wenn der Faktor zwischen „100,2“ und „100,5“ liegt, würde ich bei 4:30 auf der Uhr nur 4:31 min/km laufen und käme maximal 14 Sekunden zu spät ins Ziel.
Hier auch nochmal deutlich gesagt: wenn ich absolut gleichmäßig laufe und währenddessen den Kalibrierungsfaktor ändern würde, könnte es sein, dass die Pace-Anzeige erst nach der dritten Veränderung um „0,1“ von z.B. 04:30 auf 04:31 min/km umspringt. Und das auch nur, wenn meine Uhr den Pace so genau angibt und nicht mit 0:05 min/km Schritten arbeitet (z.B. Garmin)…
Laufe ich langsamer, passiert das etwas früher. Laufe ich deutlich schneller, kommt der Umsprung später. Man könnte auch sagen: je schneller ich laufe, desto unwichtiger wird der exakte Kalibrierungsfaktor in meinem Szenario. ;)
Wir fassen zusammen: genauer als auf 0,1 Prozent lässt sich der Stryd für die Distanzmessung nicht kalibrieren. Dafür sollte eine vermessene Strecke von 1000-2000 Metern bereits ausreichend genau sein. Dient die Kalibrierung zur genauen Pace-Anzeige für Wettkämpfe, gibt es sogar einen Spielraum von ca. 0,3 Prozent, in dem kein Unterschied in der Anzeige zu sehen ist.
Praxistest
Bisher habe ich den Stryd Wind über meinen „Strava-Hack“ kalibriert – und es mir damit ziemlich einfach gemacht. Mit dem Faktor von „102,5“ bin ich seit einiger Zeit sehr zufrieden, allerdings sind auch immer mal wieder Läufe dabei, bei denen die Distanz nicht ganz zu stimmen scheint.
Daher wollte ich den Faktor gerne noch präziser bestimmen, ohne allerdings dafür auf eine Laufbahn zu müssen. Mir gefällt die Möglichkeit nämlich ganz gut, die Kalibrierung während meiner ganz normalen Trainingsläufe machen zu können.
Vermessene Strecke
Da man nach der Stryd-Anleitung selbst die Laufbahn nochmal nachmessen soll, könnte ich das doch auch direkt auf meinen Laufstrecken machen. Das wird zwar nicht zu „Laborbedingungen“ führen, aber dafür könnte ich so sehr viele Messungen sammeln und dann mitteln.
So ein Messrad bekommt man bei Amazon * für einen wirklich überschaubaren Betrag. Um zu überprüfen, ob mein Exemplar auch verwertbare Ergebnisse liefert, habe ich es (nicht ganz nach Anleitung) mit einem Gliedermaßstab überprüft.
Dann habe ich mir ein möglichst gerades und asphaltiertes Stück auf meiner Hausrunde gesucht, bei dem ich außerdem freie Sicht in den Himmel und damit optimalen GPS-Empfang habe. Als Startlinie diente ein Straßenschild, von dem aus ich einfach los marschiert bin. Dabei stellte sich schnell heraus, dass die Fehlerquelle vielleicht nicht das Messrad sein könnte, sondern (wie so häufig) der Mensch. ;)
Es ist nahezu unmöglich mit so einem Rad eine exakt gerade Linie zu laufen. Man eiert immer ein wenig nach rechts und links, was sich über die Distanz natürlich summiert. Von „amtlich vermessen“ sind wir also weit entfernt… Kleiner Trick: Ziehen macht weniger Probleme als Schieben.
Bei möglichen Zielen habe ich dann kurz zwei Fotos zur Dokumentation gemacht: den Zählerstand und den Ort. Dann ging es weiter. Durch die Schlangenlinien habe ich dann erst gar nicht versucht, auf mehr als einen Kilometer zu kommen. Irgendwas über 600 Meter mussten erstmal reichen.
Da man den gleichen Weg ja auch zurück laufen muss, bietet es sich an, die Messung gleich nochmal als Kontrolle zu machen. Und siehe da: auf 730 Metern ist da schnell mal ein Meter Differenz drin. Auf unebenen Wegen kann sich das auch vervierfachen…
Strecke ablaufen
Auch beim Ablaufen der Strecke frage ich mich direkt, mit welcher Präzision ich hier rechnen darf. Im Vorbeilaufen die Rundentaste zu drücken ist bestimmt nicht besonders genau. Mich würde es nicht wundern, wenn sich das bei Start und Ziel auf bis zu einem halben Meter addieren würde.
Aber ich wollte ja auch keine Laborbedingungen. ;) Und wie ich oben festgestellt habe, ist der Korrekturfaktor eh nur auf 0,1 Prozent genau einzustellen. Bei einer Messstrecke von 700 Metern sind 70 Zentimeter Toleranz also noch locker im Soll.
Allerdings kann man auch einfach bei Start und Ziel für ein paar Sekunden stehen bleiben und dann erst die Rundentaste betätigen. Das fühlt sich gar nicht so merkwürdig an wie es sich anhört, verbessert aber scheinbar wirklich die Meßgenauigkeit.
Profi-Tipp: konzentriert laufen! Ich habe einige Gelegenheiten zur Messung regelrecht verpennt und bin ohne zu drücken durchs Ziel gerannt…
Korrekturfaktor ermitteln
Nach den Läufen habe ich die Rundendistanz im Stryd PowerCenter abgelesen und in eine Tabelle eingetragen (Spalte 4). Festgehalten werden muss auch der für den Lauf an der Uhr eingestellte Korrekturfaktor (Spalte 3). Über die vermessene Strecke (Spalte 2) und die gelaufene Strecke (Spalte 4) lässt sich dann ein neuer Korrekturfaktor (Spalte 6) errechnen.
Wie man sieht, habe ich mir sogar noch mehr Mühe gemacht. Über das „Fit File Repair Tool“ habe ich die Aufzeichnungen nachträglich nochmal bearbeitet und über die GPS-Positionswerte die GPS-Distanz für die Messstrecke ermittelt (Spalte 7). Dann habe ich errechnet, welcher Korrekturfaktor (Spalte 9) herausgekommen wäre, wenn ich nicht die vermessene Distanz (Spalte 2), sondern die GPS-Distanz (Spalte 7) als Referenz benutzt hätte. Das entspricht letztendlich dem, was bei der Auto-Kalibrierung in der Uhr passieren würde. Und natürlich wollte ich auch wissen, wie nahe GPS- und Stryd-Messung beieinander liegen.
Auch meinen „Strava-Hack“ habe ich direkt für die Läufe mit aufgenommen, um später die drei verschiedenen Methoden zur Kalibrierung vergleichen zu können. Dazu notiere ich die von der Uhr an Strava übermittelte Distanz (Spalte 15) und lasse die Plattform dann eine Distanz-Korrektur ausführen (Spalte 16), die die Entfernung auf Basis der GPS-Daten errechnet.
Die letzte Spalte (22) vergleicht dann nochmal die von Strava ermittelte GPS-Distanz (Spalte 16) mit der „sauber“ berechneten (Spalte 19). Es heisst ja immer, dass man Strava da nicht trauen sollte. Das kann ich auf Grundlage meiner Daten nicht nachvollziehen.
Zusammenfassend habe ich dann noch die durchschnittliche Abweichung und den durchschnittlichen Korrekturfaktor aus allen Messungen errechnet. Und weil es immer wieder Ausreißer bei den Läufen gibt, wird darunter noch ein angepasster Schnitt errechnet, der den jeweils höchsten und niedrigsten Wert ignoriert.
Ergebnis
Genauigkeit = Präzision + Richtigkeit
Viele Nutzer beschweren sich über die mangelnde Genauigkeit des Stryd Wind. Dazu muss man Genauigkeit eigentlich erstmal in Richtigkeit und Präzision unterteilen.
Das Ergebnis könnte also präzise sein, aber nicht genau. Zum Beispiel wenn der Stryd immer (!) 690 statt 680 Meter messen würde. Das ließe sich dann sehr einfach über den Korrekturfaktor ausräumen. Ein richtiges Ergebnis könnte dagegen bedeuten, dass der Stryd nicht ein Mal exakt 680 Meter gemessen hat, aber sich der Durchschnitt der Messungen genau auf den Punkt ergibt.
Wenn ich mir meine Messreihen ansehe, scheint es bei der Präzision des Stryd Wind wirklich Verbesserungspotential zu geben. Im Durchschnitt sind die Distanzen zwar richtig, aber selbst auf Hin- und Rückweg ergeben sich teilweise deutliche Differenzen. Die mittlere Abweichung liegt bei 0,74 Prozent, während sie beim GPS nur bei 0,3 Prozent liegt.
Das bedeutet wohl: die Messung per GPS wäre präziser gewesen, aber im Durchschnitt auch nicht richtiger.
Letztendlich ist bei beiden Methoden klar, dass eine einzelne Messung (selbst auf einer amtlich vermessenen Strecke) nicht zu einem sinnvollen Korrekturfaktor führen kann. Am unpassendsten Tag kann dieser bei meinen Messungen um 0,026 bis 0,029 daneben liegen – also weit entfernt von den zu akzeptierenden 0,003 (Pace-Genauigkeit).
Strava-Hack
Auch wenn ich mich nicht auf vermessene Strecken verlasse, sondern immer die Gesamtlänge eines Laufs als Grundlage nehme, sieht das Bild nicht anders aus.
Egal ob ich Strava die GPS-Distanz nachträglich ermitteln lasse oder das FitFileRepairTool dafür heranziehe: es bleibt eine mittlere Abweichung von ca. 0,9 Prozent. Im Durchschnitt liegt die Genauigkeit aber auch bei quasi 100 Prozent.
Stryd-Kalibrierungsfaktor
Aber zurück zum eigentlichen Ziel der ganzen Aktion: dem Kalibrierungsfaktor. Ich komme mit allen Methoden auf den selben Faktor von 102,5, wenn ich jeweils die beiden größten Ausreißer aus der Rechnung nehme.
Das bedeutet: mein bequemer Strava-Hack kommt zum selben Ergebnis wie die aufwändige Streckenvermessung mit Messrad.
Jedenfalls für Grundlagenläufe auf flacher Strecke mit unterschiedlichem Schuhwerk. Für einzelne Schuhe könnte sich ein leicht abweichender Faktor ergeben, wenn ich mir das genau ansehe. Die fünf Läufe mit dem Salomon Predict 2 landen genau bei 102,5, während die gleiche Anzahl mit dem
Adidas Solarboost 3 nur zu einem Faktor von 101,6 führt.
Zudem vermute ich stark, dass der Kalibrierungsfaktor geschwindigkeitsabhängig ist. Kommt es mir also auf die exakte Pace im Rennen an, müsste ich die Testläufe auch in Race-Pace machen.
Grundsatzfragen
Ich muss schon zugeben, dass ich von dem Ergebnis enttäuscht bin. Genauer gesagt: von der Präzision des Stryd Wind. Vielleicht sogar von der Präzision im Allgemeinen.
Mir ist klar geworden, dass das hier keine exakte Wissenschaft ist. Selbst bei einer so simplen Sache wie „Distanz“ muss ich mich echt fragen, mit welcher Genauigkeit man überhaupt rechnen kann. Letztendlich kann es sich nur um eine Annäherung handeln – vor allem, wenn es um praktische Anwendungsfälle geht. Denn wenn ich mir so gerade noch vorstellen kann, dass die Ergebnisse unter „Laborbedingungen“ (also z.B. nach der Stryd-Anleitung oben) noch präziser ausfallen könnten, gibt es „da draussen“ einfach zu viele Faktoren, die weit entfernt davon sind.
Nichtsdestotrotz ist aber auch ganz klar, dass vor allem die Präzision des Instruments, also die Wiederholbarkeit gleicher Ergebnisse unter gleichen Bedingungen, ein entscheidender Faktor ist. Der Stryd Wind hat mich da enttäuscht. Allerdings ist das Problem bereits beim Hersteller bekannt und wird angeblich unter Hochdruck bearbeitet. Das Ergebnis soll noch im ersten Quartal 2021 per Firmware-Update zur Verfügung stehen.
Die eigentliche Kernfunktion des Stryd, die Wattmessung für Läufer, ist ja mittlerweile sogar mehrfach wissenschaftlich untersucht und deren Qualität im Vergleich mit anderen Systemen scheinbar belegt (Quelle|Quelle|Quelle).