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Historie
Wattmessung
Es ist ziemlich genau fünf Jahre her, dass ich meinen ersten Lauf mit Wattmessung gemacht habe. Der Stryd Pioneer war ein Brustgurt und hat erstmals so eine Messung ermöglicht. Allerdings brauchte man schon eine Suunto Ambit 3, um die Daten überhaupt aufzeichnen zu können. Für andere Hersteller gab es einen Trick: man konnte den Kanal für die Schrittfrequenz nutzen und so die Powerwerte auf die Uhr bringen.
Niemand wusste so richtig, was man mit dieser neuen Metrik anfangen soll. Zumal die Ergebnisse auch noch nicht optimal waren: die Leistung bergab wurde stark unterschätzt und so blieb das Ganze doch recht experimentell.
Stryd führte dann 2017 mit dem Summit den ersten Footpod ein, während Garmin mit Connect-IQ eine ideale Plattform bot, um jedes noch so exotische Gadget in sein Ökosystem zu integrieren.
So wurde die Wattmessung deutlich praktikabler und man konnte die aufgezeichneten Daten endlich auswerten. Oder sagen wir mal: man konnte sie sich anzeigen lassen.
Stryd hat relativ schnell festgestellt, dass die Wattmessung von den Uhrenherstellern zwar wahrgenommen wird, aber keine große Unterstützung erfährt. So baute man sein eigenes Ökosystem und bot über die App die Möglichkeit, seine Critical Power zu ermitteln. Das war es aber auch schon.
Eigentlich war es dann erst Polar, die mit der Vantage V die Wattmessung direkt in ihre Trainingsempfehlungen einfließen ließen. Per Stryd oder Wattmessung am Handgelenk wurde so zumindest die muskuläre Belastung abgebildet und in die Belastungswerte integriert. Auch Powerzonen kann man in der Uhr einrichten und somit sein Training rudimentär auch nach der Leistung ausrichten.
Dann ist Garmin auf den Zug aufgesprungen und hat die Wattmessung quasi per App nachgerüstet – entsprechendes Equipment vorausgesetzt. Nun gab es schon drei mögliche Power-Quellen: den Stryd Footpod, Garmin Running Power und die Leistungsmessung am Handgelenk von Polar. Damit stellte sich aber gleichzeitig auch Ernüchterung ein, denn die Werte waren untereinander nicht „kompatibel“. Einen gemeinsamen Standard gibt es bis heute nicht…
Letztendlich bleibt eigentlich nur Stryd als ernst zu nehmende Größe im „Watt-Business“ übrig. Und weil sonst keiner mitzieht, entwickeln sie im Alleingang unermüdlich weiter.
Mit dem neuen PowerCenter war da ein wichtiger Schritt getan, denn nun gab es eine gut nutzbare Plattform, auf der man die Entwicklung seiner (mittlerweile automatisch berechneten) Critical Power verfolgen und sogar konkrete Watt-Vorgaben für Wettkämpfe erhalten kann.
Trainingssteuerung
Ein entscheidendes Problem blieb aber lange ungelöst: wie kann ich mein Training nach Watt steuern? Man muss sich ja von Puls und Pace nicht komplett abwenden, um sich zu wünschen, konkrete Trainingsvorgaben nach Power zu haben.
Für die anderen beiden Metriken lassen sich auf allen Plattformen strukturierte Workouts anlegen, um auch die komplexesten Intervallsysteme abzubilden und sich mittels Laufuhr bei der Trainingseinheit führen zu lassen. Die Ergänzung von Power hat da sehr auf sich warten lassen.
Mehr als die Darstellung von Leistungszonen bei Polar und Suunto, oder maximal noch ein manueller Zone-Lock bei der Vantage V waren lange Zeit nicht möglich. Auch hier hat Stryd das Heft zunächst selbst in die Hand genommen und die Workout-App für Garmin Connect-IQ geschrieben. Damit ließen sich (relativ unhandlich) Intervalle mit Power-Vorgaben erstellen und auf Garmin-Uhren ausführen. Leider konnte man nicht mehrere Einheiten anlegen und abrufen, sondern musste die Zeiten, Wiederholungen und Zielwerte immer wieder neu programmieren…
Der Laufuhren-Newcomer Coros hatte auch bereits eine App-Lösung im Einsatz, über die ganze Trainingspläne recht komfortabel am Handy zu erstellen waren, um sie dann auf die Uhr zu synchronisieren. Erst kürzlich wurde bei den Uhren nicht nur die volle Stryd-Kompatibilität und „Power am Handgelenk“ implementiert, sondern auch Watt-Vorgaben für die Trainingspläne ermöglicht.
Polar brauchte für diesen Schritt scheinbar erst eine neue Uhr: die Vantage V2. Und selbst dann hat es noch ein Firmware-Update gebraucht, bis man sein Training nach Watt-Werten steuern konnte.
Training mit Power
Ich fasse zusammen: aktuell gibt es drei Uhrenhersteller, die Trainingseinheiten mit Watt-Zielen ermöglichen. Garmin kann das zwar nicht selbst, aber alle Connect-IQ-fähigen Uhren sind dazu in Verbindung mit dem Stryd in der Lage. Bei Polar kann es seit dem letzten Firmware-Update zumindest die Vantage V2 und Coros hat alle Uhren (ausgenommen die Pace 1) mit der Funktion versehen.
Um das nochmal ganz deutlich zu sagen: ich nutze seit fünf Jahren die Wattmessung für Läufer und erst jetzt ist es möglich, mein Training nach Watt statt Pace oder Puls zu steuern. Das war ein ganz schön langer Weg, ist gleichzeitig aber auch ein enormer Meilenstein!
Was ist aktuell also möglich? Wie kann ich mein Training nach Power steuern?
Garmin / Stryd
Voraussetzungen
Die Lösung mit der größten Nutzerbasis dürfte sicher die Kombination aus dem Stryd Footpod, dem Stryd PowerCenter und einer Garmin-Uhr sein – womit die Voraussetzungen auch schon benannt wären. Auf der Uhr muss die Stryd Workout App installiert und eingerichtet sein.
Ausserdem müssen sich im Kalender des Stryd PowerCenter natürlich (zukünftig) geplante Workouts befinden, die mit Watt-Vorgaben erstellt wurden. Über die Workout-App auf der Uhr lassen sich diese dann downloaden und nutzen – wie im Video beschrieben.
Vorgehen
Wie bekomme ich also Trainingseinheiten mit Watt-Vorgaben in den Kalender? Der einfachste Weg ist die Nutzung eines Stryd Trainingplans. Dazu geht man in der App auf „Einstellungen“ und dann auf „Trainingspläne“. Oben rechts über das Plus-Icon startet dann ein Dialog, über den man einen „maßgeschneiderten“ Plan bekommt.
Der basiert zwar grob auf Critical Power und Wochenumfängen, besonders viele Optionen gibt es aber nicht. Zumindest ist der Kalender im PowerCenter danach gefüllt. ;)
Alternativ lassen sich die Trainingseinheiten oder ganze Trainingspläne auch mit Final Surge (kostenlos) oder TrainingPeaks (evtl. mit Kosten) erstellen und ins PowerCenter synchronisieren. Stryd hat ausführliche Anleitungen geschrieben, wie man die Einheiten auf den beiden Plattformen erstellt (Anleitung Final Surge / Anleitung TrainingPeaks).
Um das einfach mal auszuprobieren oder nur einzelne Workouts für sein Training zu erstellen, ist Final Surge sicher der bessere Weg. Ansonsten stellt sich ganz schnell die Frage, ob man eine der beiden Plattformen vielleicht grundsätzlich für sein Training nutzen will.
Hat man über einen der beiden Wege geplante Einheiten im Kalender des PowerCenters erstellt, können diese beim nächsten Start der Workout-App auf der Uhr heruntergeladen und dann gestartet werden.
Ich finde die App ganz brauchbar, auch wenn sich die Anzeige leider nicht individualisieren lässt. Ich sehe aber zumindest, bei der wievielten Wiederholung ich gerade bin und welche Ziel-Werte gerade aktiv sind.
Aber Achtung: Stryd hat bereits angekündigt, dass man Mitte 2021 einige Funktionen nur gegen Bezahlung anbieten will. Dazu werden mit Sicherheit die eigenen Trainingspläne gehören, vielleicht sogar die Workout-App. Bis dahin sind zwar alle Funktionen noch kostenlos, aber da zukünftige Kosten und Funktionen noch nicht so ganz abschätzbar sind, sollte man es sich mit dieser Lösung vielleicht noch nicht allzu bequem machen.
Coros
Voraussetzungen
Alle Coros-Uhren (ausser der Pace 1) beherrschen „Power am Handgelenk„. Zusammen mit der sowieso obligatorischen Coros-App auf dem Handy, sind damit bereits strukturierte Trainingseinheiten mit Power-Zielen möglich. Ergänzend kann natürlich auch der Stryd Footpod benutzt werden.
Vorgehen
Das Ökosystem von Coros besteht derzeit einzig aus der (Android- oder iOS-) App, daher ist das auch der Dreh- und Angelpunkt für das Training nach Watt. Man geht zu „Gerät“ und „Mein Training“ und kann dort ein „Training hinzufügen“.
Als Intensitätsziel sind hier Wattwerte möglich, die man manuell in 10er-Schritten einstellen kann. Ist das Training erstellt, muss es nur noch mit der Uhr synchronisiert werden und steht dort im Menü unter „Training“ bereit.
Das ist so einfach gemacht, dass ich auch schon fertig angezogen im Flur noch schnell ein Intervall-Training erstellt habe, um es kurz darauf auszuführen.
Eine Anleitung von Coros gibt es dazu auch.
Alternativ (und sogar parallel) kann man sich mit seinem TrainingPeaks-Account verbinden und erhält so eine Synchronisation aller Einheiten von TrainingPeaks zu Coros.
Beim Ausführen der Einheiten blendet Coros eine eigene Datenseite ein (ähnlich wie es Garmin-Uhren auch machen), die man nicht individualisieren kann. Allerdings sind seine anderen, bereits konfigurierten Seiten ja nur einen Dreh der Krone entfernt.
Für meine Trainings war das immer sehr gut zu benutzen. Einziger Wermutstropfen: ist die programmierte Zeit oder Distanz erreicht, stoppt die Aufzeichnung direkt. Will man die 500 Meter bis zur Haustür auch noch aufzeichnen, muss man dafür eine neue Laufeinheit starten. Es gibt also kein „Open End“.
Polar
Voraussetzungen
Die watt-basierten Ziele sind bei Polar noch ganz neu und (bisher?) nur mit der Vantage V2 möglich, daher konnte ich die Funktion selbst noch nicht testen. Mit der Polar Vantage V funktioniert es aktuell jedenfalls nicht. Alternativ zur Powermessung am Handgelenk kann man den Stryd verwenden.
Vorgehen
Ein Training mit Power-Zielen kann man nur über die App anlegen. Im Polar-Flow-Webservice steht die Funktion noch nicht zur Verfügung. Ansonsten ist das Vorgehen identisch zum Anlegen von Puls- oder Pace-Zielen.
Polar-typisch kann allerdings nur eine Ziel-Zone definiert und nicht z.B. eine exakte Wattzahl vorgegeben werden. Die Möglichkeiten des watt-gesteuerten Trainings integrieren sich also ziemlich nahtlos in die Polar-Welt…
Moving Targets
Auf eine Besonderheit beim Training nach Watt muss ich unbedingt noch hinweisen. Bei der Trainingssteuerung nach Herzfrequenz hat man relativ beständige Zonen, die man zum Beispiel über eine Leistungsdiagnostik sehr gut ermitteln kann. Normalerweise reicht da eine jährliche Überprüfung, auch wenn sich meist dann nichts geändert hat.
Bei Trainingsplänen nach Pace orientiert sich diese an der Wettkampf-Zielzeit. Da kommt es dann darauf an, ob die richtig gewählt ist und man sich nicht zu sehr unter- oder überfordert. Ob das Ziel realistisch war, merkt man dann erst nach dem Wettkampf.
Jetzt zur Besonderheit: Stryd ermittelt an jedem Tag auf Grundlage der letzten 90 Tage die persönliche Critical Power. Die muss natürlich passend gefüttert werden, um aussagekräftig zu sein. Aber wenn das so ist, habe ich ein sich bewegendes Ziel, auf dem sich meinen Watt-Zonen begründen.
Sprich: im März kann meine CP noch bei 280 Watt liegen, durch passendes Training aber bis Mai vielleicht auf 300 Watt steigen. Entsprechend sollte ich auch die Watt-Vorgaben meiner Trainingseinheiten anpassen.
Bezogen auf unsere strukturierten Trainingseinheiten passiert diese Anpassung aber eigentlich nicht. Denn die Trainingspläne bei Stryd und die Workouts bei Coros sind (einmal angelegt) mit fixen Wattwerten versehen. Einzig Polar würde seine Zonen mitführen, wenn ich die Critical Power regelmäßig in meinen Sportprofilen anpasse.
Der Ausweg: natürlich sollten die Ziele bei einem watt-basierten Training als „Prozent von CP/FTP“ definiert werden und nicht als absolute Werte. Somit müsste dann nur die Critical Power aktuell gehalten werden und alle Trainingseinheiten würden ständig mit „perfekten“ Zielen arbeiten.
Genau so arbeiten TrainingPeaks und Final Surge. Man kann für die Intensitätsziele jeweils angeben, ob man absolute Werte eingeben möchte, oder eben einen Prozentsatz des FTP bzw. der Critical Power.
Daher kann ich für ein sinnvolles, watt-basiertes Lauftraining nur empfehlen, sich diese beiden Plattformen anzusehen. Andererseits ist es wahrscheinlich auch nur eine Frage der Zeit, bis Stryd/Garmin und Coros diese Möglichkeit auch einräumen.
Fazit
Heureka! Es funktioniert! ;) Die Steuerung des Trainings nach Power ist endlich möglich – ohne große Klimmzüge. Idealerweise benutzt man Trainingspläne oder Workouts aus TrainingPeaks oder Final Surge, die bereits so angelegt sind, dass die Intensität als „Prozent von FTP/CP“ definiert ist. Die Ausführung dieser Trainings ist dann mit Garmin-Uhren und einem Stryd-Footpod oder mit Coros-Uhren und alternativ zusätzlichem Stryd möglich.
Neben der technischen Möglichkeit sollte man sich aber natürlich auch die Frage stellen, ob das immer sinnvoll ist. ;) Wann ich Puls, Pace und Power einsetze, habe ich bereits beschrieben. Und auch meine letzten WKO-Zahlenspielereien haben mir gezeigt, dass es nicht immer Power sein muss.